Liturgische Gebet
Das liturgische Gebet
Das gemeinschaftliche und das Einsiedlerleben sind verschieden in ihrer innern Beschaffenheit; außerdem treten noch andere Verschiedenheiten aus ihrer Beschäftigung selbst hervor.
Die Tätigkeit der kontemplativen Orden ist im Grunde genommen allgemein dieselbe, indem alle dem Gebet und der Buße; und die Vermischung der beiden vollzieht sich unter sehr mannigfaltigen Bedingungen.
Das eigentliche Gebet des Mönches ist das liturgische Gebet. Und dies Gebet wird in der Klosterregel im wahrhaften Sinne des Wortes das Werk Gottes genannt, dem Nichts darf vorgezogen werden.
Das Gebet in der Tat regelt das ganze Leben des Mönches. Die Einrichtung der göttlichen Offizien bestimmt bei ihm die Tage und Nächte, die Wochen und Jahre.
Die ganze Regel beruht auf der Liturgie; der Ordensmann steht auf und geht zur Ruhe, kommt und geht, beschäftigt und erholt sich, wie die Reihenfolge der Offizien es ihm bestimmt, so dass sein Dasein ein liturgisches ist.
Was ist aber Liturgie?
Die Liturgie ist die offizielle und allgemeine Form des kirchlichen Gebetes.
Und worin besteht dieses Gebet?
Es hat einen Höhepunkt einen ganz göttlichen Mittelpunkt, um den herum sich die Horen des Tages und der Nacht gruppieren.
Das heilige Messopfer ist der Knotenpunkt der Liturgie; alle Teile des Offiziums sind diesen Stamm gepfropft. Und welch` herrliche Harmonie!
Das ist ein einziges Ganzes, eine lebendige Einheit: und welche Einheit und welche Lebenskraft!
Wie weit ist es von der Erhabenheit der Liturgie bis zu den kleinlichen Andächteleien in denen kleine Seelen kleine Gemütsbewegungen suchen, sich in sehr abgebrochenen Ideen verschließen und nur flüchtige Gefühle erzielen.
Jesus Christus ist derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit.
Die dreifache Existenz Christi, nämlich in der Zeit vor seiner Menschwerdung, in seinem sterblichen Leben inmitten der Menschen und in der Kirche bis an`s Ende der Zeiten bildet das Element der Liturgie.
Im Kreislauf des liturgischen Jahres erscheinen im Rahmen der Messe und des Offiziums die göttlichen Offenbarungen und Kundgebungen, welche auf die Ankunft des Erlösers hindeuteten, die Toten und Worte des göttlichen Meisters in seinen sterblichen Leben, die Äußerungen seines mystischen Lebens in der Kirche und in den Heiligen.
Wie schön sind diese Geheimnisse und wie schön der Rahmen! Der liturgische Rahmen ist wahrhaft würdig des Gemäldes, welches er einschließt. Alles ist da lebend. Auf dem Altare wiederholt unser Heiland in der Wirklichkeit seiner eucharistischen Gegenwart die Geheimnisse Seines Kreuzopfers.
Er ist da in Person, lebendig, tätig, sich aufopfernd unter der Hülle der heiligen Handlungen.
Und die Offizien, welche der Messe vorhergehen und die, welche folgen, sind wie die messianische Vorbereitung und die christliche Fortsetzung.
Die Psalmen und die Lektionen, die Versikeln und Responsorien, in denen das Werk der Heiligen Schrift enthalten ist, geben einen sehr lebendigen Aufzug, denn lebendig ist das Wort Gottes; es ist das Wort des Lebens.
Im Verlaufe des liturgischen Jahres sieht man die Geheimnisse der Erwartung des Erlösers, Seiner Geburt und Seiner Kindheit, Seines verborgenen und Seines öffentlichen Lebens, Seines Leidens und Seines Todes, Seiner Auferstehung und Seiner Himmelfahrt, der Ankunft des Heiligen Geistes und des Lebens der Kirche bis zum Gericht sich in lebhafter Reihenfolge entwickeln.
Und diesem Gemälde der Geheimnisse Christi erscheinen die Heiligen, denen Jesus Christus Sein Leben geoffenbart hat, wie Perlen, auf einem Goldgrunde ausgesäet, oder besser wie Funken, die mitten aus dem Herde sprühen.
Alles dies findet sich in der Sprache Gottes ausgedrückt; es sind die Worte Gottes, die Gefühle Gottes, die Ideen Gottes. Alles ist rein göttlich.
Wenn eine Seele unter dieser Form betet, wenn sie sich diese Worte, diese Gefühle und diese Ideen aneignet, welche Macht der Erhebung und der Fürbitte!
Der Erhebung ihrer selbst, der Fürbitte für andere!
Sollte ein beständiger Umgang mit den göttlichen Geheimnissen, in einer göttlichen Sprache geschildert, nicht imstande sein, eine Seele, die ihn kosten will, zu erfassen und in Gott zu versetzen?
Und wenn eine Seele in Gott lebt, welche Macht hat sie dann über das Herz Gottes! Ihre Gebete erhalten eine ungemein große Wirksamkeit.
Moses besänftigt den Zorn Gottes gegen Sein Volk.
O, diese Macht der Fürbitte bei den Heiligen! Allein sind sie mächtig genug, ganze Völker zu retten.
O, möchten doch mehr und eifrige Klöster gleich göttlichen Feuerstätten sich entzünden, unterhalten vom großen Hochofen des liturgischen Gebetes; der Wohlgeruch der Heiligkeit würde sich unfehlbar verbreiten! Wenn doch die hochherzigen Seelen es wüssten, wenn sie es begriffen, es wollten! Mein Gott, gib uns Klöster und Heilige!
Das klösterliche Gebet ist auf den Tag derart verteilt, dass es alle Stunden des Tages und der Nacht einnimmt; und es ist auf die verschiedenen kontemplativen Orden so verteilt, dass es nie einen Augenblick gibt, wo nicht betende Seelen am Tabernakel vereinigt sind, um das Lob Gottes zu singen und seine Barmherzigkeit zu erflehen.
Der Mönch geht zum Gebet als zum Schwerpunkte seiner Beschäftigungen; er geht am Tage, in der Nacht geht er wieder.
Wenn er es unterbricht, um sich dem Joche der Buße, welche der zweite Teil seines Berufes ist, zu unterziehen und um in kurzer Ruhe – für ihn eine traurige Notwendigkeit – seine Kräfte zu erneuern, nimmt er sobald wie möglich die große Arbeit Gottes wieder auf.
Sieben bis acht Mal im Tage spricht er das Lob Gottes. Er ist sich seiner Aufgabe als ewiger Fürbitter bewußt und läßt es sich angelegen sein, die ihm von seinem Berufe auferlegte Last nicht von sich abzuwälzen.
Und in den verschiedenen Orden wird zu den Offizien zu den verschiedenen Tageszeiten geläutet. Die einen verlängern das Abendgebet; die andern stehen mitten in der Nacht auf; andere fangen in aller Frühe wieder an.
Das sind die göttlichen Wachtposten des Gebetes, welche sich gegenseitig ablösen und nicht zulassen, dass der geistliche Wachdienst der Völker jemals eine Unterbrechung erleide. Und wie in der Nacht, so geschieht es am Tage.
Auf diese Weise wird Gott fortwährend verehrt, fortwährend gebeten, fortwährend versöhnt. Wie rührend lauten diese nicht aufhörenden Klagetöne des Klostergesanges!
Das ist gerade das zweifache, das himmlische und das irdische Gepräge dieses so ernsten und so sanften, dieses so ruhigen und so majestätischen und so flehenden Chorgesanges.
Nach einigen Augenblicken eines Stillschweigens, welches die Sammlung des Himmels und der Erde andeutet, flehe, da erhebt sich klagend und langsam der Gesang, dessen Noten in einer scheinbar einfachen, aber ungemein ergreifenden Modulation auf einander folgen.
Und lange Stunden hindurch seufzen diese Tauben vor dem Tabernakel und vertrauen Gott die Wünsche der Erde und der Erde die Wünsche Gottes an.
Bedenke, wie die Seele, der Nachtigal ähnlich, ihres Gesanges niemals überdrüssig wird, Sie singt und singt; drei Stunden hindurch folgen diese Noten, zwar langsam und ernst, aber doch weich und freudig auf einander ohne Unterlass.
Und ist die Zeit vorüber, so seht ihr nur freudige Gesichter und gesunde Körper und zufriedene Herzen. Es ist die Rückkehr von einem schönen Festmahle.
Kein göttliches Geheimnis, kein menschliches Interesse bleibt dem Mönch fremd, ihm, der Allem fremd scheint.
Er dringt in die Geheimnisse Gottes und in die menschlichen Interessen ein, indem er Gott die menschlichen Interessen vorträgt und den Menschen die göttlichen Geheimnisse überbringt.
Von den Menschen häufig verkannt, von Gott aber gekannt, hat er in seinem Herzen eine Weite, welche größer zu werden strebt als alles Elend der Erde, das er Gott vorzutragen berufen ist; eine Weite, welche sehnlichst wünscht, ebenso groß zu werden als die Barmherzigkeit Gottes, die er der Erde überbringen soll.
Er weiß, dass das Elend des Menschen ein unermesslicher Ozean, dass die Barmherzigkeit Gottes ein weit mehr unendlicher Ozean ist; und er weiß, dass sein Beruf von ihm verlangt, dass er der Verbindungskanal zwischen diesen beiden Ozeanen sei.