Gebet
Ohne Gebet gibt es kein geistliches Leben.
Das Gnadenmittel
Das Gebet ist das unbedingte Gnadenmittel. Wir müssen wenn wir selig werden wollen beten.
1.) Ohne Gnade keine Seligkeit, ohne Gebet (bei Erwachsenen) keine Gnade. Gebet ist also ebenso notwendig wie die Gnade. Gott hat zwar die Sakramente als Gnadenmittel bestellt, aber in mancher Beziehung ist das Gebet wichtiger als die Sakramente. Die Sakramente vermitteln gewisse, bestimmte Gnaden, das Gebet vermag unter Umständen alle Gnaden zu erhalten; die Sakramente stehen uns nicht überall und immer zu Gebote, wohl aber das Gebet. Deshalb sagt man mit Recht: " Wer recht zu beten versteht, versteht auch recht zu leben." Durch das Gebet versteht sich der Mensch mit allem was zum guten Leben notwendig ist. Wenn dem so ist, dann gelten auch folgende inhaltsschwere Sätze: Niemand soll etwas hoffen als durch das Gebet; jedes Vertrauen, das sich nicht auf das Gebet stützt, ist ein eitles Vertrauen; und Gott schuldet uns nichts als auf das Gebet hin, weil er dem Gebete alles versprochen hat. Gott befiehlt nichts Unmögliches; entweder gibt er dir die Gnade selbst oder wenigstens das Gebet,mit dem du dir die Gnade erlangst.
2.) Es kommen an 2. Stelle die Versuchungen. Auch die vermögen wir natürlicherweise nicht alle zu überwinden. So weit kommt aber die Versuchung nicht, dass wir nicht beten können. Wir sind nur schwach, wie wir nicht beten. Die Heiligen waren siegreich, weil sie beteten. Ohne Gebet wären sie auch unterlegen wie wir. Dieses gilt besonders von den Versuchungen des Fleisches. Sie besonders machen blind gegen alle verhängnisvollen Folgen der Sünde; sie lassen uns alle guten Vorsätze vergessen und löschen die Furcht vor den Strafgerichten in uns aus. Ohne Gebet bleibt da nichts übrig, als zu Grunde zu gehen.
Die schönsten Gebetsweisen
Es fehlt nicht an einer großen Anzahl von schönen erhabenen und ehrwürdigen Gebeten; ehrwürdig und erhaben nicht bloß wegen des Inhaltes, sondern auch wegen des Urhebers selbst, der vielfach kein Geringerer ist als Gott und die Kirche. Erinnert sei nur an die Psalmen, das Vaterunser, das Ave Maria, die Allerheiligenlitanei und die gottesdienstlichen Gebete.
1. Die Psalmen sind die ältesten Gebete und von Gott selbst eingegeben. Großenteils für den alttestamentlichen Gottesdienst bestimmt gehören sie durch ihre Beziehung auf den Messias auch unserer Kirche an. Es sind unsere Gebete, und nur durch unseren eucharistischen Tabernakel erreichen sie ihre Bedeutung und Erfüllung. Grundlage und Gegenstand dieser Singgebete ist Gott und der Mensch und ihre gegenseitige Beziehung durch die Offenbarung und das Gesetz mit all seinen Segnungen, Hoffnungen und Vergeltungen. Wir können nicht oft genug den Psalter zur Hand nehmen und ihm den rechten Ton für unser Zwiegespräch mit Gott ablernen. Da finden wir uns mit der ganzen Menschheit zusammen. Gott selber legt uns das Wort auf die Zunge.
2. Noch viel mehr ist dies der Fall mit dem Vaterunser. Das ist das hohe Privilegium dieses Gebetes, dass hier wirklich die Worte des Sohnes Gottes sind. Durch den wir leben, beten wir auch, können wir hier sagen. Ja er selbst, zu dem wir beten müssen, setzt uns in seiner Güte die Bittschrift auf. Abgesehen davon, ist es in sich das vortrefflichste Gebet. Es ist klar, kurz und vollständig. Der Vollständigkeit nach umfasst es alles, was zu einem Gebet gehört, nämlich die Anrede und die Bitte. Die Anrede "Vater unser" ist wahr, ist für Gott ehrend und uns nützlich, weil sie uns gleich der echten Beziehung zu Gott als Vater gemahnt, uns in die tröstlichste Stimmung der Ehrfurcht, Liebe und des Vertrauens versetzt und uns an die Zugehörigkeit zum ganzen Menschengeschlechts, als einer großen großen Gottesfamilie erinnert. Die Bitten ebenfalls enthalten alles, worum wir vernünftiger und geziemender Weise bitten können, und zwar in der rechten Ordnung, nach welcher wir bitten müssen. Mehr können wir uns nicht denken und wünschen. Alles ist da zusammengefasst. So ist das Vaterunser ein wahres Mustergebet, und voll von großen, hohen und herrlichen Dingen, Gedanken und Anliegen. Unser ganzes Dasein umfasst es, Hohes und Niedriges, Zeitliches und Ewiges. Es ist, wie die heiligen Väter sagen, ein Abriss des Evangeliums und der ganzen Religion. Es belehrt unsern Verstand und gibt unserem Willen die rechte Richtung, und ist der Rahmen all unserer Wünsche, Bitten und Gebete, damit sie uns zum Heile gereichen. Es ist das Vaterunser selbst das Unterpfand der Erhörung, weil wir mit den Worten Christi beten und Christus in uns betet, unser Herr und Hohepriester, der immer Erhörung findet wegen seiner Ehrwürdigkeit als Sohn Gottes. Ja kein anderes Gebet vereinigt uns so mit den Gedanken, Absichten und Gesinnungen des Heilandes, mit seinem Geiste und seinem Verlangen, Gottes Ehre und unser Heil zu fördern. Es ist das Vaterunser der schöne und beredte Ausdruck seiner allumfassenden Liebe zu Gott, zu der Kirche und zu allen Menschen. Alles hat er in ihm zusammengefasst, die Bedürfnisse des einzelnen, aller Völker und des ganzen Menschengeschlechtes und aller Zeiten.
Q: Das dreifache Reich Gottes mit Imprimatur 1911
Das Ave Maria:
3. Das Ave Maria ist der süße Anteil, den Maria, Unsere Liebe Frau, die Herrin und Mutter der Christenheit an unsern mündlichen Gebeten hat. Es ist ein Beweis, dass in unserer Kirche die Mutter nicht fehlt, dass alles durch ihre Hand geht und dass der Christ nicht wirken, leben und sterben will ohne sie. Auch das Ave Maria ist hohen Ursprungs. Ein Engel hat es im Namen Gottes vom Himmel gebracht als Ehrengruß, wie er nie einem Sterblichgebornen zuteil geworden, der Heilige Geist hat ihn erweitert durch die begnadete heilige Elisabeth, und die Kirche hat ihn, um ein vollkommenes Gebet aus dem bloßen Engelsgruß zu machen, besiegelt durch die Bitte, die sie hinzufügt. Von dem 16. Jahrhundert an, ist es in der gegenwärtigen Fassung in den Gebrauch der Christenheit übergegangen. Fast immer bildet es nach dem Vaterunser den liebenden Schlussakkord der Christen an die Gottesmutter. Es ist der Hauptträger und der beliebteste Ausdruck der Marienverehrung geworden. Man hat es mit Recht den "unendlichen Gruß" genannt, weil es sich unaufhörlich mit dem Rundgang der Sonne auf der Erde erneuert und zum Himmel steigt. Dem Inhalt und der Gliederung nach besteht das Ave Maria wie jedes andere Gebet aus der Anrede und der Bitte. Die Anrede enthält fünf Lobtitel der Mutter Gottes. Die drei ersten spricht der Engel aus.
4- Es entwickelt sich das Ave Maria durch verschiedene Zusammenstellungen und Erweiterungen zu zwei großen und wichtigen Gebetsarten, nämlich zum sogenannten Englischen Gruß, zu dem jeden Tag dreimal die Betglocke das Zeichen gibt, und zum Rosenkranz. Beide Andachten sind nichts anderes als eine bestimmte Anreihung des Ave Maria mit kurzen Beisätzen, die dem Sinne und dem Inhalt der Worte eine besondere Beziehung geben auf die Geheimnisse des Lebens, des Leidens und der Verherrlichung Jesu und Mariä.
Wenn wir also die tiefe Bedeutung des Ave Maria verstehen und uns angewöhnen, es andächtig zu beten, so ist auch für die Andacht beim Beten, für unsern geistlichen Nutzen und für die Verherrlichung der Mutter Gottes ausreichend gesorgt. Jeder Tag unseres Lebens wird dann wirklich der immer blühende Rosengarten, in dem Unsere Liebe Frau ewigen Festtag feiert.
Der Rosenkranz
"Aber die ewigen, langweilenden und geisttötenden Wiederholungen" hört man sagen. Ob sie langweilen und den Geist töten, hängt von uns ab. An und für sich ist das öfters Anschauen eines lieben Bilden das Wiederholen eines teuern Namens, ja eines schönen Liedes ganz natürlich und nichts weniger als langweilig. Der Vogel wiederholt den ganzen Tag sein stets gleiches Lied, und es wird nie lästig; das Kind sagt dem Vater und der Mutter immer dieselben Namen und Gedanken vor; immer bewegen sie mit Freuden das elterliche Herz, weil sie aus liebendem Kindesherzen kommen. Es kommt also bloß auf den Geist und auf die Liebe an und ob man etwas dabei denkt. Was aber eben den Geist und diese Liebe weckt und erhält, das ist die öfters Wiederholung derselben Gedanken und Wahrheiten und das Eingehen auf dieselben. Darauf kommt alles an, dass wir mit ganzer Seele uns darin versenken. Je älter wir werden, desto mehr müssen wir beten; und je mehr wir beten, desto mehr muss unser Gebet zur Betrachtung werden. Wie Diamanten in Gold gefasst, so sind die Hauptgeheimnisse des Lebens, Leidens und Triumphes Jesu und Mariä im Rosenkranzgebete in je 10 Ave Maria eingeschlossen. Die öftere Wiederholung gibt Zeit, sich diese Bilder vorzustellen, zu betrachten, Anmutungen und Entschlüsse zu erwecken.
Das erste Freudenreiche Geheimnis zeigt uns Maria mit dem Verkündigungsengel und dem Heiligen Geiste. Erwäge dabei, wie unaussprechlich heilig Maria war, als sie Christus vom Heiligen Geist empfing, d. h. wie tief ihr Abscheu gegen die geringste Sünde war; bitte um die Gnade, Leib und Seele rein zu erhalten und Christum, den der Heilige Geist auf dem Altare vergegenwärtigt, oft und würdig zu genießen. Das zweite zeigt Maria bei der Heimsuchung, ihre Sittsamkeit, Eingezogenheit; du sollst auch nur solche Gesellschaft aufsuchen, wo Jesus dabei sein kann und die Sittsamkeit und Wachsamkeit bewahren. Das dritte zeigt Jesus und Maria in Armut und Niedrigkeit, Verstoßung; bitte um Zufriedenheit in geringem Stande, Armut im Geiste. Im vierten opfert Maria voll Andacht ihr Kind im Tempel; du sollst gern, mit Andacht und Ehrfurcht im Tempel erscheinen und opferwillig sein. Das fünfte, das Wiederfinden im Tempel, mahnt, Jesum nicht zu verlieren, und wenn man ihn verloren hat durch die Sünde, ihn alsbald weiterzusuchen im Bußsakrament. Die schmerzhaften Geheimnisse können lehren: 1. in Geistestrübsal, Trockenheit und Versuchung beharrlich beten; 2. die Sünden der Unkeuschheit meiden; 3. die Hoffart verabscheuen; 4. das tägliche Kreuz geduldig und verdienstlich tragen; 5. am Kreuz des Gehorsams, der Selbstverleugnung ausharren. Die glorreichen Geheimnisse können ermuntern:
1. entschlossen aufzuerstehen aus dem Grabe der Sünde und in einem neuen Leben zu wandeln; 2. himmlischen Sinn zu üben, das Herz loszureißen und der irdischen Anhänglichkeit; 3. den Einsprechenden der Gnade folgen und sich vom Heiligen Geiste innerlich erleuchten und regieren zu lassen; 4. beständig beten um eine gute Sterbestunde; 5. Verdienste zu sammeln so lange es noch Tag ist, und sich anspornen durch Erinnerung an die Krone der Herrlichkeit.
Das kann jeder, und Übung macht auch hierin den Meister. Ein Gebet und Erbauungsbuch ist der Rosenkranz auch für den Unbelehrten. "Darum ist das Land so öde, weil niemand nachdenkt in seinem Herzen. "Wer den Rosenkranz oft und mit Nachdenken betet, in dessen Gesinnung und Leben muß sich allmählich eine Umwandlung vollziehen; er pflegt ja den Umgang mit den heiligsten Personen, spiegelt sich Beständig in dem Leben Jesu und Mariä. Im Anfang des 13. Jahrhunderts war eine schlimme Zeit. Der Geist des Aufruhrs erhob kühn sein Haupt gegen staatliche und kirchliche Ordnung. Der große Papst Innozenz III. versammelte die Hirten der Kirche zu einem Konzil in Rom, um zu beraten, wie der böse Geist zu bannen sei. Und was taten sie? Sie forderten die Priester auf zum andächtigen Breviergebete, welches aus der heiligen Schrift und alten Kirchengebeten zu einem herrlichen Ganzen zusammengestellt ist. Die Väter sahen ein, dass die Religion der Welt nur gerettet werden könne, wenn der Priesterstand eifrig bete, täglich und vereint bete. Zur selben Zeit gab der heilige Dominiks auch den Laien ein Brevier, einen Psalter in die Hand, den Rosenkranz, damit Priester und Volk vereint im Gebete den Himmel versöhnten. Dominiks war Missionar im südlichen Frankreich, wo die giftige Ketzerei der Albigenser heimlich um sich gefressen und weite Landstriche zum Abfall gebracht hatte. Der Heilige predigte tauben Ohren. Als er einst, das Herz voll Trauer, in einer Höhle betete um Segen für seine Mühen, da erschien ihm die seligste Jungfrau, begleitet von drei himmlischen Königinnen, deren jede 50 Jungfrauen im Gefolge hatte. Die erste Schar war geschmückt mit weißen, blumengestickten Kleidern; die zweite trug blutrote Gewande, die dritte glänzte in goldenen Kleidern. Maria sprach zu Dominiks: "Die ersten bedeuten den freudenreichen Rosenkranz, die zweiten den Schmerzhaften, die dritten den glorreichen. Geh hin, predige meinen Rosenkranz, und die Lüge wird fliehen, der Glaube siegen." So geschah es. Als Dominiks diese neue Gebetsweise verkündete, strömte das verblendete Volk in die Kirche und viele Tausende schworen dem Irrtum ab. Seitdem hat der Rosenkranz einen Ehrenplatz behauptet unter den Andachten der Kirche und diese hat ihn mit zahlreichen Ablässen empfohlen. Ihre Orden tragen ihn als Abzeichen. Franziskus Xaverius trug ihn um den Hals als Zeichen der Verehrung Mariä und wirkte durch ihn zahlreiche Wunder, auf dass seine Neubekehrten mit größerer Andacht ihn beten möchten. Franz von Sales betete ihn trotz seiner vielen Geschäfte alle Tage. Der heilige Klemens Hofbauer nannte ihn seine Bibliothek, sein kräftiges Mittel zur Bekehrung der Sünder, besonders der Sterbenden. Fürsten und Große der Erde, Männer, berühmt in den Künsten und Wissenschaften oder in der Politik, beteten ihn mit Vorliebe. So Kaiser Karl V., König Alfons V. von Portugal, Kasimir II. von Polen u. a. Der berühmte Arzt Remacier trug ihn beständig in der Tasche und betete ihn unbemerkt auf seinen Krankengängen: der berühmte Musiker Haydn begeisterte sich damit zu seinen Arbeiten; der große Volksführer O´Connell betete ihn im Parlamente, wo er stritt für die Freiheit seines Volkes; der unvergessliche Hermann von Mallinckrodt betete ihn noch auf dem Sterbebetts. Alle guten Kinder der Kirche haben den Rosenkranz geliebt, und haben ihn desto lieber gewonnen, je länger sie ihn übten, und sind dadurch gewachsen in der Liebe Gottes, im Gebetseifer, im Seeleneifer. Deshalb hat auch Papst Leo XII. das Rosenkranzgebet wiederholt empfohlen. Übe es fleißig. Quelle: das dreifache Reich Gottes. Imr. 1911
Wie notwendig ist das Gebet?
Der Hl. Chrysostomus sagt im 1. Buche über das Gebet: „Wer nicht betet und keine Sehnsucht in sich trägt, häufig der Unterredung mit Gott zu geniesen – der ist tot, der hat kein Geistesleben in sich und ermangelt der gesunden Vernunft. Denn das ist ja eben das sicherste Merkmal der Unvernunft, wenn man die Größe dieser Ehre nicht einsieht, wenn man keinen Sinn hat für das Verlangen mit Gott zu unterhalten, wenn man sich nicht zur Überzeugung zu erheben mag, dass in der Seele kein Leben waltet, die des Dranges unkundig ist, vor Gott anbetend in den Staub zu sinken. Daniel wollte lieber sterben, als nur drei Tage des Gebetes entbehren. Es ist unmöglich, ohne der Stütze des Gebetes ein tugendhaftes Leben zu führen. Denn wie könnte jemand die Tugend üben, der nicht ohne Unterlass flehentlich zu dem empor ruft, welcher den Menschen alle Tugend verleiht?“ – Und im II. Buche vom Gebete sagt derselbe Heilige: „Lassest du dich vom Gebete, so handelst du eben so, als wenn du einen Fisch aus dem Wasser zögest. Denn wie dem Fische Wasser das Leben ist, also dir das Gebet.“ Q: Aus einem Gebetsbuch 1883 Die 7 Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Weisheit, und Mäßigung,
Das Gebet ist ein Verlangen nach Vollkommenheit
Man würde nicht ehrlich beten, wollte man nicht besser werden. Es setzt eine gewisse Gottes- und Selbsterkenntnis voraus, da es Beziehungen zwischen beiden anknüpft. Es macht unsern Willen dem göttlichen gleichförmig, denn jedes gute Gebet enthält ausdrücklich oder einschließlich einen Akt der Unterwerfung unter den höchsten Herrn. Es vervollkommnet alle diese Akte, weil es uns zu Füssen der göttlichen Majestät legt, um sie anzubeten und um neue Gnaden zu erflehen, die es uns ermöglichen, auf dem Weg der Vollkommenheit neue Fortschritte zu machen. Das Wesen des Gebetes Wir nehmen hier das Wort Gebet in seiner allgemeinen Bedeutung, nämlich als Erhebung unserer Seele zu Gott. Es soll Näheres gesagt werden, erstens: über seinen Begriff, zweitens: über seine verschiedenen Formen und drittens: über das vollkommene Gebet oder das Vaterunser.
1. Der Begriff des Gebetes - Was man unter Gebet versteht.
a. Im gebräuchlichsten Sinne ist, wie der hl. Johannes von Damaskus sagt, das Gebet eine Erhebung des Gemütes zu Gott. Ascensio mentis in Deum. Vor ihm nannte der hl. Augustinus das Gebet eine innige Hinwendung des Gemütes zu Gott, Oratio namque est mentis ad Deum affectuosa intentio.
b. In engerem Sinne nennt man es die Bitte zu Gott um geziemende Dinge. Petitio decentium a Deo (De Fide orthod., 1. III, c. 24).
c. Um die gegenseitigen Beziehungen auszudrücken, welche das Gebet zwischen Gott und der Seele herstellt, schildert man dasselbe als Gespräch mit Gott. Oratio, conversatio, sermocinatioque cum Deo est. (Gregor v. Nyssa: Oratio I, de orat. Domini) Alle diese Auffassungen sind wahr.
Fasst man sie zusammen so kann man das Gebet begrifflich erklären als: eine Erhebung unserer Seele zu Gott, in der Absicht, ihm gegenüber unsere Pflichten zu erfüllen und seine Gnade zu erflehen, um durch sie zu seiner Ehre besser zu werden.
Das Wort Erhebung ist nur ein bildlicher Ausdruck, welcher das Bemühen andeuten soll, dem wir uns unterziehen, um uns von den Geschöpfen und von uns selbst freizumachen und an Gott zu denken, der uns nicht nur von allen Seiten umgibt, sondern im Innersten unserer Seele wohnt. Da wir nur zu leicht dazu neigen, unsere Fähigkeiten mit einer Unmenge von Dingen zu beschäftigen, so ist eine Anstrengung notwendig, um sie jenen nichtigen und verführerischen Dingen zu entreißen, zu sammeln und auf Gott allein zu richten. Diese Erhebung nennt man ein Gespräch, weil das Gebet, ob es nun eine Anbetung oder eine Bitte sei, eine Erwiderung von Seiten Gottes erheischt und auf diese Weise eine Art Zwiegespräch ist, mag dasselbe auch noch so kurz sein. In diesem Gespräch muss natürlich unser erster Akt sein, Gott gegenüber unsere Pflichten der ihm gebührenden Verehrung zu erfüllen, ganz wie man erst die Person begrüßt, mit der man sprechen will. Ist erst dieser natürlichen Pflicht Genüge geleistet, so kann man sein Anliegen vorbringen. Viele vergessen das. Gerade das ist einer von den Gründen derentwegen so manche Gebete wenig Erhörung finden. Selbst, wenn wir Gnaden für unsere Heiligung oder für unser Seelenheil uns erbitten, dürfen wir nicht vergessen, der Hauptzweck soll die Ehre Gottes sein. Deshalb fügten wir der Definition des Gebetes die Worte bei: um durch sie, zu seiner Ehre, besser zu werden.
2. Die verschiedenen Gebetsarten
Im Hinblick auf den doppelten Zweck des Gebetes unterscheidet man: die Anbetung und die Bitte
Die Anbetung
Die Anbetung als solche gilt dem höchsten Herrn. Da aber Gott auch unser Wohltäter ist, sind wir ihm zum Danke verpflichtet. Ferner, weil wir ihn beleidigt haben, müssen wir dieses Unrecht wiedergutmachen. Die Anerkennung der Oberhoheit Gottes Der erste Gedanke, der sich aufdrängt, sobald man sich an Gott wendet, ist die Anbetung, d. h. die Anerkennung der Oberhoheit Gottes und unserer allergrößten Abhängigkeit von ihm. Die gesamte Natur betet in ihrer Weise Gott an. Die aber, die weder mit einem Empfindungsvermögen, noch mit Vernunft begabt ist, hat kein Herz, um Gott zu lieben und keinen Verstand, um ihn zu begreifen. Sie begnügt sich deshalb damit, ihre Ordnung, ihre verschiedenartigen Tätigkeiten und ihren Schmuck vor unseren Augen auszubreiten. Sie selbst kann nicht sehen, aber sie zeigt sich. Sie selbst kann nicht beten, aber sie treibt uns dazu an und gestattet nicht, dass uns Gott, den sie selbst nicht wahrnimmt, unbekannt bleibe. Der Mensch jedoch, das göttliche Lebewesen, mit Vernunft begabt, ist fähig, Gott zu erkennen, und zwar durch sich selbst und durch alle Geschöpfe. Von selbst und von allen anderen Geschöpfen wird er gleichsam "gezwungen", Gott Anbetung zu zollen. Aus diesem Grunde ist er mitten in die Welt hineingesetzt, um das ganze Weltall zu betrachten und es in sich selbst aufzunehmen und so sich selbst und alle Dinge auf Gott allein zurückzuführen, so dass er nur der Beobachter der sichtbaren Wesen sei, um das unsichtbare Wesen anzubeten, welches durch seine Allmacht alles aus dem Nichts hervorgebracht hat.
Mit anderen Worten, der Mensch ist der Hohepriester der Schöpfung. Er hat die Aufgabe, sowohl in seinem Namen, wie auch im Namen aller Geschöpfe, Gott zu verherrlichen. Diese Aufgabe erfüllt er, indem er erkennt, dass Gott ein vollkommenes und daher unerfassliches, erhabenes und Wohltaten spendendes Wesen ist. Es liegt in unserer Natur, was vollkommen ist zu verehren und dem Erhabenen uns zu unterordnen, allem Guten anzuhaften.
Die Danksagung
Der Anbetung folgt die Danksagung. Denn Gott ist nicht nur unser höchster Herr und Gebieter, sondern auch unser größter Wohltäter. Ihm verdanken wir alles, was wir sind und was wir haben, sowohl in der Ordnung der Natur wie in der Ordnung der Gnade. Aus diesem Grunde kann er auf beständige Dankbarkeit von unserer Seite Anspruch erheben, denn aus seiner Hand empfangen wir unaufhörlich neue Wohltaten. Deshalb fordert uns die Kirche täglich vor dem feierlichen Augenblick des Kanon auf, Gott für alle seine Wohltaten zu danken, besonders aber für diejenige, die alle anderen in sich schließt, für die Wohltat der heiligen Eucharistie. Gratias agamus Domino Deo nostro. Vere dignum et iustum est, aequum et salutare gratias agere... (Präfation: Lasset uns danken dem Herrn, unserem Gott. - In Wahrheit ist es würdig und recht dir, Herr, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott, immer und überall zu danken) Zu diesem Zwecke legt sie uns die erhabenen Dankesworte auf die Lippen: Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam (Gloria: ... und danken Dir, denn groß ist Deine Herrlichkeit) Und darin befolgt sie nur das Beispiel Jesu, der oft seinem Vater dankte, ebenso die Lehren des hl. Paulus, der uns auffordert, Gott für alle Wohltaten zu danken: In omnibus gratias agite, haec est voluntas Dei (1 Thess 5,18a: Dankt für alles; denn das will Gott von euch) Gratias Deo super inenarrabili dono eius (2 Kor 9,15: Dank sei Gott für sein unfassbares Geschenk). Übrigens braucht man Menschen, die ein fühlendes Herz in der Brust haben, nicht an diese Pflicht zu erinnern. Durch den Gedanken an die göttlichen Wohltaten fühlen sie sich von selbst angetrieben, unaufhörlich ihrem Danke Ausdruck zu verleihen. Und es kommt ihnen aus dem Herzen.
Die Wiedergutmachung
Im Zustande der gefallenen Natur haben wir noch eine dritte Pflicht, nämlich die Sühne und die Wiedergutmachung. Nur allzu oft haben wir die unendliche Majestät Gottes durch unsere Sünden beleidigt, ja, wir haben sogar zu diesem Zwecke die Gaben Gottes missbraucht. Das ist ein Unrecht, welches eine möglichst vollkommene Wiedergutmachung von uns fordert. Sie besteht hauptsächlich in drei Akten: - In dem demütigen Geständnisse unserer Sünden. - In aufrichtiger Reue. - In der mutigen Annahme von Prüfungen, die uns Gott schicken wird. Wollen wir hochherzig sein, so werden wir damit die Aufopferung unserer selbst in Vereinigung mit dem Opferlamm des Kalvarienberges verbinden. Dann werden wir demütig Verzeihung erflehen und erhoffen können. Wir werden auch neue Gnaden erbitten können. Die Bitte Sie ist an und für sich eine Huldigung, die man Gott wegen seiner Macht, seiner Güte und wegen der Wirksamkeit der Gnade entgegenbringt. Sie ist ein Akt des Vertrauens, der denjenigen ehrt, an den er gerichtet ist. Der eigentliche Grund des Gebetes ist einerseits die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen und Kindern, andererseits unser dringendes Bedürfnis seiner Hilfe. Als unerschöpfliche Quelle aller Güter verlangt er sehnlichst danach, diese letzteren in unsere Seelen zu ergießen. Als unser Vater wünscht er nichts so sehr, als uns an seinem Leben teilnehmen zu lassen und es in uns zu vermehren. Um dieses leichter zu erreichen, sendet er seinen Sohn auf die Welt, seinen einzigen Sohn, der voll Gnade und Wahrheit erscheint, um uns mit seinen Schätzen zu bereichern. Ja, noch mehr. Er lädt uns alle ein, um seine Gnaden zu bitten und verspricht, sie uns zu gewähren. Petite et dabitur vobis, quaerite et invenietis, pulsate et aperietur vobis (Mt 7,7: Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet). Wir sind also sicher, Gott wohlgefällig zu sein, wenn wir unsere Bitten an ihn richten. Übrigens haben wir es dringend nötig. Sowohl in der Ordnung der Natur, wie in derjenigen der Gnade sind wir arm. Wir sind in größter Dürftigkeit. Selbst in der natürlichen Ordnung wesentlich von Gott abhängig, vermögen wir nicht einmal die Existenz die er uns gab, zu erhalten. Wir hängen dabei von physischen Ursachen ab, die ihrerseits Gott gehorchen. Vergeblich werden wir sagen, wir hätte doch Gehirn und Arme und könnten durch unsere Willenskraft aus dem Schoße der Erde holen was wir zu unserem Unterhalte brauchen. Gehirn und Arme werden von Gott erhalten und treten nur mit seinem Beistande in Tätigkeit. Die Erde bringt uns Früchte hervor, wenn Gott sie mit seinem Regen befeuchtet und mit den Strahlen seiner Sonne befruchtet. Ach und wie viele unvorhergesehene, unglückliche Ereignisse können reife Ernten vernichten! Um wie vielmehr jedoch hängen wir in der übernatürlichen Ordnung von Gott ab! Wir brauchen Licht um den richtigen Weg zu sehen. Wer aber soll es uns geben, wenn nicht der Vater des Lichtes? Uns ist Mut und Kraft notwendig, um dem Lichte folgen zu können. Wer soll uns dieselben verleihen wenn nicht der Allmächtige? Was bleibt uns also anderes übrig, als den Beistand dessen zu erflehen der uns gern helfen will? Man sage nicht, Gott kenne durch sein Wissen alles, was uns notwendig und nützlich sei. Der hl. Thomas antwortet darauf: Zweifellos bewilligt er uns lediglich durch seine Freigebigkeit viele Dinge, ohne dass wir ihn darum gebeten haben aber andere gibt es, die er nur auf unser Gebet hingewährt, und das zu unserm Besten, damit wir nämlich unser ganzes Vertrauen auf ihn setzen und ihn als Urheber aller unserer Güter anerkennen. Beten wir, so haben wir einerseits mehr Vertrauen, erhört zu werden, andererseits sind wir weniger der Gefahr ausgesetzt, Gott zu vergessen. Wir vergessen ihn schon sowieso viel zu oft. Was aber würde sich ereignen, wenn wir nicht das Bedürfnis fühlen würden, in unserer Bedrängnis zu ihm zu flüchten? Gott verlangt demnach mit gutem Recht das Gebet in Form einer Bitte.
In Bezug auf die verschiedenen Arten des Gebetes unterscheidet man: das betrachtende, das mündliche, das öffentliche und das persönliche Gebet. Nach der Ausdrucksweise ist das Gebet betrachtend oder mündlich, je nachdem es sich im Inneren der Seele vollzieht oder äußerlich sich kundgibt.
Das betrachtende Gebet
Das betrachtende Gebet ist somit eine Art innerliches Gespräch mit Gott, das sich nach außen hin nicht bemerkbar macht. Orabo spiritu, orabo et mente (1 Kor 14,15a: Ich will nicht nur im Geist beten, sondern auch mit dem Verstand) Jeder innere Akt, welcher bezweckt uns durch Erkenntnis und Liebe mit Gott zu vereinigen, geistige Sammlung, Erwägung, Vernunftschluss, Erforschung, Vertrauen, Beschauung, Erhebung des Herzens zu Gott, kann man betrachtendes Gebet nennen. Alle diese Akte nämlich erheben uns zu Gott, auch der Blick in unser eigenes Ich, der ja unsere Seele nur weniger unwürdig dessen machen soll der in ihr wohnt. Alle dienen dazu, um uns die Tugend üben zu lehren. Sie sind gleichsam eine Vorbereitung auf das Leben im Himmel, das in nichts anderem, als in der beseligenden, ewigen Anschauung Gottes besteht. Dieses Gebet ist auch die Nahrung und die Seele des mündlichen Gebetes. Das mündliche Gebet Dieses äußert sich durch Worte und Gebärden. Es wird oft in den heiligen Büchern erwähnt, die uns auffordern, Stimme, Mund und Lippen zur Lobpreisung Gottes zu gebrauchen.
Aber warum auf diese Weise unsere Gefühle ausdrücken, da Gott sie doch in der Tiefe unseres Herzens liest? Es geschieht, um Gott nicht nur die Huldigung unserer Seele, sondern auch unseres Leibes und besonders der Sprache darzubringen, denn er verlieh sie uns, um damit unsere Gedanken auszudrücken. Im Grunde genommen, ist dies die Lehre des hl. Paulus. Nachdem er nämlich dargelegt hat, Jesus sei für uns außerhalb Jerusalems gestorben, lädt er uns ein, aus uns selbst herauszutreten und uns mit dem Vermittler des Glaubens zu vereinigen, um Gott ein Lobopfer darzubringen. Durch ihn also lasst uns Gott allezeit das Opfer des Lobes darbringen, nämlich die Frucht der Lippen, die seinen Namen preisen (Hebr 13,15). Es geschieht auch, um unsern Eifer anzuregen und zwar durch den Ton unserer Stimme. Die Psychologie beweist nämlich, dass die Gebärde das innerliche Gefühl steigert. Auch zur Erbauung des Nächsten dient es, denn andere andächtig beten sehen oder hören, vermehrt unsere Andacht.
Das persönliche und das öffentliche Gebet
Das mündliche Gebet selbst ist persönlich oder öffentlich, je nachdem es von einer einzelnen Person oder im Namen einer Gemeinschaft verrichtet wird. Wir haben übrigens bewiesen, die Gemeinschaft, als solche, schulde Gott öffentliche Huldigungen, da auch sie ihn als den höchsten Herrn und Wohltäter anerkennen muss. Darum ermahnte auch der hl. Paulus die ersten Christen, sie sollten nicht nur ein Herz sein, sondern auch einstimmig Gott mit Jesus Christus verherrlichen (Röm 15,6: damit ihr Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, einträchtig und mit einem Munde preist). Schon der Heiland hatte seine Jünger aufgefordert, sich zum Gebete zu vereinigen und versprach ihnen, in ihre Mitte zu kommen, um ihre Bitten zu unterstützen (Mt 18,20: Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen). Gilt dieses von einer Versammlung von drei oder vier Personen, um wie vielmehr wenn eine große Menge sich versammelt, um Gott pflichtgemäß zu preisen. Der hl. Thomas erklärt, die Wirksamkeit des Gebetes sei dann "unfehlbar". Impossibile est preces multorum non exaudiri si ex multis orationibus fiat quasi una. - Unmöglich ist es, dass die Bitten vieler nicht erhört werden, wenn aus vielen Gebeten quasi eines wird. (Commentar. in Matth., c. XVIII) Wie ein Vater, der den Bitten eines seiner Söhne widersteht, sich erweichen lässt, sobald er sieht, dass alle seine Kinder dasselbe erbitten, ebenso kann unser Vater im Himmel der eigenartigen Gewalt nicht widerstehen, die das gemeinschaftliche Gebet einer großen Zahl seiner Kinder auf ihn ausübt. [Vgl.: Das Privatgebet gleicht Strohhalmen, die da und dort auf ein Feld hingestreut sind. Wenn man sie jedoch anzündet, ist das Feuer wenig ausgiebig. Sammelt man jedoch dieses verstreute Stroh, ist die Flamme mächtig und erhebt sich hoch zum Himmel hinauf: so ist es mit dem Gemeinschaftsgebet (Hl. Pfarrer von Ars)]
Es ist also wichtig, dass die Christen sich oft vereinigen um gemeinschaftlich Gott anzubeten und andere Gebete zu verrichten. Zu diesem Zweck ruft die Kirche an Sonn- und Feiertagen zur heiligen Messe, die das vorzüglichste öffentliche Gebet ist, und zu anderen gottesdienstlichen Veranstaltungen. Weil sie jedoch nicht täglich die Gläubigen sammeln kann, Gott aber Tag für Tag verherrlicht zu werden verdient, so erteilt sie ihren Priestern und ihren Ordensleuten den Auftrag, mehrmals am Tage dieser heiligen Pflicht des öffentlichen Gebetes nachzukommen. Das geschieht durch das Breviergebet, welches sie nicht in ihrem persönlichen Namen, sondern im Auftrage der ganzen Kirche und für alle Menschen verrichten. Darum ist es auch wichtig, dass sie sich dann ganz besonders mit dem großen Diener Gottes, dem Fleischgewordenen Worte, vereinigen, um mit ihm und durch ihn Gott zu verherrlichen und gleichzeitig um alle Gnaden zu bitten, deren das christliche Volk bedarf. Adolphe Tanquerey 1854 -1932 (Auszüge aus: Grundriss der aszetischen und mystischen Theologie)
Drei wunderbare Wirkungen ruft das Gebet hervor:
1. Es macht uns von den Geschöpfen frei. 2. Es vereinigt uns gänzlich mit Gott. 3. Es verwandelt uns allmählich in ihn.
1. Es macht uns von den Geschöpfen frei, insofern sie ein Hindernis für unsere Vereinigung mit Gott sind. Das geht schon aus seinem Begriffe hervor, denn, um uns zu Gott zu erheben, müssen wir uns zuvor von den Fesseln der Geschöpfe freimachen. Durch die verführerischen Reize, mit denen sie uns locken und durch den Egoismus, der uns beherrscht, vermögen wir dieser zweifachen Gefangennahme nur dadurch zu entweichen, dass wir die Fesseln sprengen, die uns an die Erde ketten. Nichts aber eignet sich dazu besser als die Erhebung der Seele zu Gott durch das Gebet. Um ihn und seine Ehre vor Augen zu haben, um ihn zu lieben, müssen wir aus uns selbst heraustreten, die Geschöpfe und ihre verräterischen Reize vergessen. Und sind wir erst einmal bei ihm, durch trautes Gespräch mit ihm vereint, so vervollständigen seine unendlichen Vollkommenheiten, seine liebenswürdigen Eigenschaften und der Blick auf die himmlischen Güter die Losschälung der Seele. Wir hassen immer mehr und mehr die Todsünde, die uns gänzlich von Gott abwenden würde, ja selbst nach und nach die freiwilligen Unvollkommenheiten, die unsere Vertrautheit mit ihm verringern könnten. Wir lernen auch die ungeordneten Neigungen energischer bekämpfen, die von Natur aus uns anhaften, weil wir besser verstehen, wie sehr sie uns von der Vereinigung mit Gott fern zu halten suchen.
2. Auf diese Weise wird unsere Vereinigung mit Gott vollkommener. Sie wird vollständiger und vollkommener.
Vollständiger:
Das Gebet nimmt alle unsere Fähigkeiten in Anspruch, um sie mit Gott zu vereinigen: a) Den höheren Teil der Seele, den Verstand, den es mit Gedanken an himmlische Dinge beschäftigt, den Willen, den es auf die Ehre Gottes
und das Heil der Seelen richtet, das Herz, dem es gestattet, sich einem stets offenen, liebreichen und mitleidigen Herzen gegenüber auszuschütten und Gefühle in sich wachzurufen, die der Heiligung nur förderlich sein können.
b) Die sinnlichen Fähigkeiten, indem es uns behilflich ist, unsere Phantasie, unser Gedächtnis, unsere Herzensergüsse und unsere Leidenschaften, soweit sie Gutes an sich
haben, auf Gott zu richten.
c) Selbst den Leib, weil es uns hilft, die äußeren Sinne, die Quellen so vieler Abschweifungen, abzutöten und unser Benehmen nach den Regeln der Bescheidenheit
einzurichten.
Vollkommener:
Wie wir das Gebet geschildert haben, ruft es in der Seele Akte der Gottesverehrung hervor. Eingegeben werden sie durch den Glauben, getragen von der Hoffnung und belebt durch die Liebe. Gibt es nun aber etwas Edleres und für unsere Heiligung Wirksameres als diese Akte der theologischen Tugenden? Man muss noch damit die Akte der Demut, des Gehorsams, des Starkmutes, der Standhaftigkeit verbinden, welche das Gebet voraussetzt. Und so ist es leicht einzusehen, wie durch diese Übung unsere Seele sich auf eine sehr vollkommene Weise mit Gott vereint.
3.
Es ist also nicht zu verwundern, dass sich die Seele dadurch allmählich in Gott umgestaltet. Das Gebet bewerkstelligt sofortige Verbindung mit Gott. Während wir ihm demütig unsere Huldigungen und Bitten darbringen, neigt er sich zu uns herab und teilt uns seine Gnaden mit, welche diese glückliche Umgestaltung herbeiführen. Die Tatsache allein, seine göttlichen Vollkommenheiten zu betrachten, sie zu bewundern sich darüber zu freuen, zieht dieselben schon durch das Verlangen, irgendeinen Anteil an ihnen zu haben in uns. Unsere Seele versinkt in jene innige Beschauung und fühlt sich gleichsam ganz durchdrungen von jener Einfachheit, jener Güte, jener Heiligkeit und Ruhe, die sich uns gern mitteilen. Alsdann neigt sich Gott zu uns herab, um unsere Gebete zu erhören und um uns reichliche Gnaden zu bewilligen. Je besser wir unsere Pflichten ihm gegenüber erfüllen, desto mehr beschäftigt er sich damit, unsere Seele, die zu seiner Ehre arbeitet zu heiligen. Wir können viel von ihm erbitten, wenn wir es nur demütig und voll Vertrauen tun. Er kann demütigen Seelen, die sich mehr mit seinen Interessen als mit den ihrigen beschäftigen nichts verweigern. Er erleuchtet sie mit seinem Lichte um ihnen die Leere und das Nichts der menschlichen Dinge zu zeigen. Er offenbart sich ihnen als das höchste Gut, die Quelle alle Güter, und zieht sie dadurch an sich. Er verleiht ihrem Willen Kraft und Ausdauer, deren dieser bedarf, um nur das zu wollen und zu lieben, was dessen würdig ist. Besser als mit den Worten des hl. Franz von Sales können wir nicht schließen: "Durch das Gebet sprechen wir mit Gott, und Gott spricht mit uns. Wir sehnen uns nach ihm und atmen in ihm und er wieder sehnt sich nach uns und atmet in uns." Glücklicher Austausch, der ganz zu unserem Vorteile ist, denn er zielt auf nichts anderes, als uns in Gott umzugestalten, durch Teilnahme an seinen Gedanken und seinen Vollkommenheiten.
(Adolphe Tanquerey 1854 -1932 (Auszüge aus: Grundriss der aszetischen und mystischen Theologie)
Die Notwendigkeit des Gebetes
1. die Notwendigkeit und die Bedingungen des Gebetes scharf einprägen, 2. sich allmählich für die Bedürfnisse entsprechenden geistlichen Übungen heranbilden, 3. lernen, Betrachtung zu halten.
Was wir über das doppelte Ziel des Gebetes – Anbetung und Bitte – sagten, beweist dessen Notwendigkeit. Es leuchtet ein, dass wir als Geschöpfe durch Anbetung, Danksagung und Liebe Gott verherrlichen müssen und als Sünder ihm unsere Sühnepflichten zu leisten haben. Hier aber handelt es sich hauptsächlich um das Bittgebet und dessen absolute Notwendigkeit als Mittel zum Heile und zur Vollkommenheit. Die Notwendigkeit des Gebetes gründet sich auf die Notwendigkeit der aktuellen Gnade. Es ist Glaubenswahrheit, dass es uns ohne diese Gnade ganz und gar unmöglich ist, unser Heil zu wirken, wie viel mehr zur Vollkommenheit zu gelangen! Welch' guten Gebrauch wir auch immer von unserer Freiheit machen mögen, so können wir doch, [alleine!] von uns aus, nichts Positives zu unserer Bekehrung beitragen, auch nicht längere Zeit im Guten verharren, namentlich nicht bis zum Tode. "Ohne mich könnt ihr nichts tun" (Joh 15,5), sagt Jesus zu seinen Jüngern, nicht einmal einen guten Gedanken fassen, fügt der hl. Paulus hinzu. [Vgl.: Doch sind wir dazu nicht von uns aus fähig, als ob wir uns selbst etwas zuschreiben könnten; unsere Befähigung stammt vielmehr von Gott. (2 Kor 5,3)] Denn "Gott ist es, der in uns das Wollen und das Vollbringen bewirkt" (Phil 2,13). Die erste Gnade wird uns freilich umsonst verliehen, ohne Gebet, da sie selbst die Grundlage des Gebetes ist. Aber abgesehen von dieser ersten Gnade, ist es unzweifelhafte Wahrheit, dass das Gebet das normale, wirksame und allgemeine Mittel ist, durch welches wir nach Gottes Anordnung alle aktuellen Gnaden erhalten. Ebendarum schärft der Heiland uns so oft die Notwendigkeit des Gebetes ein, wenn wir Gnade erlangen wollen. "Bittet", sagt er, "und ihr werdet empfangen. Suchet und ihr werdet finden. Klopfet an und es wird euch aufgetan werden. Denn wer bittet, erhält; wer sucht, der findet; man wird dem öffnen, welcher anklopft" (Mt 7,7-8). Es ist, als ob er sagte, fügen die Ausleger hinzu: bittet ihr nicht, so werdet ihr nicht erhalten, suchet ihr nicht, werdet ihr nicht finden. An diese Notwendigkeit des Gebetes erinnert Jesus besonders während der Zeit der Versuchungen. "Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet. Der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach." (Mt 26,41). Daraus schließt der hl. Thomas, jedes nicht auf Gebet begründete Vertrauen sei Vermessenheit. Gott nämlich, der uns seine Gnade von Rechtswegen nicht schuldet, hat sich nur verpflichtet, sie uns in Abhängigkeit vom Gebete zu gewähren. Gewiss kennt er unsere geistlichen Bedürfnisse, ohne dass wir sie ihm darlegen, aber unser Gebet soll die Triebfeder für seine Barmherzigkeit sein, damit wir Ihn als den Urheber der gewährten Güter anerkennen.
So erklärt es auch immer die Überlieferung. Das Konzil von Trient3 bekennt sich zur Lehre des hl. Augustinus, wenn es sagt, Gott befehle uns nichts Unmögliches. Er befiehlt uns, das zu tun, was wir leisten können, und zu erbitten, was wir nicht tun können. Durch seine Gnade hilft er uns, es zu erbitten. Offenbar setzt er voraus, ohne Gebet gebe es Dinge, die für uns unmöglich zu erreichen sind. Diesen Schluss zieht auch der römische Katechismus. "Das Gebet ist uns als notwendiges Mittel gegeben, um zu erlangen, was wir wünschen. Es gibt in der Tat Dinge, die wir nur mit Hilfe des Gebetes erlangen können". Anweisungen für den Seelenführer: Es ist wichtig, mit den Anfängern bei dieser Wahrheit länger zu verweilen. Viele, ohne es zu merken, sind von pelagianischen oder semi-pelagianischen Ansichten durchdrungen und bilden sich ein, mit gutem, energischen Wollen könnten sie alles. Freilich wird die Erfahrung sie bald belehren, dass trotz ihrer Anstrengungen die besten Vorsätze oft unausgeführt bleiben. Das benutze der Seelenführer. Unermüdlich erinnere er sie daran, nur durch Gnade und Gebet würden sie imstande sein, die gemachten Vorsätze auch wirklich zu halten. Diese anschauliche Erfahrungslehre wird sie besser als irgend etwas anderes von der Notwendigkeit des Gebetes überzeugen. Man erkläre ihnen auch die Bedingungen für die Wirksamkeit des Gebetes.
Wesentliche Bedingungen für das Gebet
Der hl. Paulus sagt klar und deutlich: "Ebenso steht aber auch der Geist unserer Schwachheit bei; denn um was wir beten sollen, wie es sich gebührt, wissen wir nicht, aber der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern." (Röm 8,26). Wir fügen hinzu, diese Gnade wird allen, auch den Sündern, angeboten. Alle können also beten.
Der Stand der Gnade ist zwar zum Gebete nicht notwendig, erhöht aber in besonderer Weise den Wert unserer Gebete. Durch den Gnadenstand nämlich sind wir Freunde Gottes und lebendige Glieder Christi.
Untersuchen wir nun etwas näher die Bedingungen, die das Gebet erfordert, 1. bezüglich des zu Erbetenden, 2. bezüglich des Betenden.
1. Bedingungen bezüglich des zu Erbetenden
Seitens des Gegenstandes ist die wichtigste Bedingung, nur Güter zu erbitten, die zum ewigen Leben führen, vor allem übernatürliche Gnaden und, erst an zweiter Stelle, zeitliche Güter, je nachdem sie uns zum Seelenheil nützlich sind. So lautet die vom Heiland selbst gegebene Vorschrift: "Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit und alles andere wird euch obendrein zugegeben werden." (Mt 6,33) Die Glückseligkeit wie die Vollkommenheit des Menschen besteht im Besitze Gottes und daher der zu diesem Ende notwendigen Gnaden. Wir dürfen deshalb nur um Dinge bitten, die mit diesem Ende in Verbindung stehen.
Die zeitlichen Güter, an und für sich, stehen viel zu tief unter uns, um die Sehnsucht unseres Herzens zu stillen und um uns zu beglücken, als dass sie der Hauptgegenstand unserer Gebete sein könnten. Da wir aber dieser Güter in gewissem Masse zum Leben und zum Heile bedürfen, ist es uns gestattet, um das tägliche Brot zu bitten, um das des Leibes, wie um das der Seele, dieses in Überordnung über jenes. Manches uns wünschenswert erscheinende Gut, wie z.B. Reichtum, könnte eben zuweilen dem Seelenheile schaden. Wir dürfen aus diesem Grunde nur in Unterordnung unter die ewigen Güter darum bitten. Selbst, wenn es sich um diese oder jene besondere Gnade handelt, darf sie nicht anders als in Gleichförmigkeit mit dem göttlichen Willen erbeten werden. Gott erkennt in seiner unendlichen Weisheit besser als wir, was jeder Seele frommt, je nach dem Stande und Grade ihrer Vollkommenheit.
Der hl. Franz v. Sales bemerkt sehr richtig, wir sollen unser Heil so, wie Gott es will, wünschen und daher in bedingungsloser Entschlossenheit jene Gnaden ersehnen und annehmen, die er uns zuteilt. Denn unser Wille muss dem seinigen entsprechen.
Handelt es sich aber um besondere Gnaden, wie um diese oder jene Gebetsweise, Tröstungen oder Trockenheiten usw., so darf man die Bitten nicht absolut oder bedingungslos stellen, sondern muss sie stets dem Wohlgefallen Gottes unterordnen.
Der Grund, weshalb wir nicht erhört werden, liegt darin, dass wir uns des Gebetes bedienen, um wunderliche, überflüssige Gnaden zu erlangen, Gnaden, die unserem Geschmack und unseren falschen Begriffen entsprechen. Wir beten und erbitten uns Gnaden der Busse, der Heiligung, aber für die Zukunft, nicht für die Gegenwart. Gnaden, die alle Schwierigkeiten lösen, aber nicht solche des Beistandes in Mühen und bei Hindernissen. Wundergnaden, die uns mitreißen wie einen hl. Paulus, nicht aber solche, die uns allmählich in die richtige Verfassung versetzen und unsere Mitwirkung erfordern. Gnaden, die alle Pläne der Vorsehung ändern und die ganze Heilsordnung umstürzen. Gott verteilt Gnaden des Trostes oder der Dürre, der Ruhe oder des Kampfes, je nach den Absichten seiner unendlichen Weisheit und den Bedürfnissen unserer Seele.
Für die Wahl der Gnaden, die uns am nützlichsten sind, können wir ihm alles anheim stellen. Wir dürfen wohl einen Wunsch äußern, aber nur in demütiger Unterwerfung unter den Willen des himmlischen Vaters. Bitten wir in richtiger Weise, wird er uns stets erhören, zuweilen gewährt er mehr und Besseres, als was wir erbitten. Statt uns zu beklagen, preisen wir ihn lieber dafür.
2. Bedingungen bezüglich des Betenden
Die wesentlichsten Bedingungen zur Erlangung der Wirksamkeit unseres Gebetes sind Demut, Vertrauen, Achtsamkeit oder wenigstens ernstliches Bemühen, achtsam zu sein.
Demut: Demut geht aus dem Wesen des Gebetes hervor. Die Gnade ist ihrer Natur nach unverdient. Wir haben durchaus kein Anrecht darauf. Wir sind, wie der hl. Augustinus sagt, Bettler in Bezug auf Gott und müssen von seiner Barmherzigkeit erflehen, was wir von Rechtswegen nicht erlangen können. So betete Abraham, der sich in Gegenwart der göttlichen Majestät als Staub und Asche ansah. Abraham antwortete und sprach: Ich habe es nun einmal unternommen, mit meinem Herrn zu reden, obwohl ich Staub und Asche bin." (Gen 18,27) So betete Daniel, als er um Befreiung des jüdischen Volkes bat, nicht auf Grund seiner Verdienste und Tugenden, sondern wegen der Fülle der göttlichen Barmherzigkeit. "Mein Gott, neig mir dein Ohr zu und höre mich; öffne deine Augen und sieh auf die Trümmer, auf unsere Stadt, über der dein Name ausgerufen ist. Nicht im Vertrauen auf unsere guten Taten legen wir dir unsere Bitten vor, sondern im Vertrauen auf dein großes Erbarmen." (Dan 9,18). So betete der Zöllner, der erhört wurde. "Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! " (Lk 18,13). Während das Gebet des stolzen Pharisäers verworfen wurde. Jesus selbst gibt den Grund dafür an. "Wer sich erhöht wird erniedrigt werden und wer sich erniedrigt, wird erhöht werden." (Lk 18,14b). Seine Jünger verstanden das wohl. Der hl. Jakobus sagt mit Nachdruck: "Gott tritt den Stolzen entgegen, den Demütigen aber schenkt er seine Gnade." (Jak 4,6) Der Stolze schreibt sich selbst die Wirksamkeit seines Gebetes zu, während der Demütige sie Gott zuschreibt. Erwarten wir nun, dass Gott uns auf Kosten seiner eignen Ehre erhöre, um unserer Eitelkeit Vorschub zu leisten? Der Demütige gibt aufrichtig zu, alles komme von Gott. Erhört Gott ihn, so fördert er seine Ehre und gleichzeitig das Heil des Bittenden.
Vertrauen: Echte Demut erzeugt darum Vertrauen, jenes Vertrauen, das nicht auf eignes Verdienst, sondern auf die unendliche Güte Gottes und die Verdienste Jesu Christi sich gründet. Der Glaube lehrt uns, Gott sei barmherzig und neige sich dieser Eigenschaft wegen mit um so größerer Liebe zu uns herab, je besser wir unser Elend erkennen. Das Elend nämlich schreit nach Barmherzigkeit. Gott mit Vertrauen anrufen heißt eigentlich ihn ehren, ihn als Quelle aller Güter zu verkünden, die er sehnlichst uns zu gewähren wünscht. In der Hl. Schrift erklärt er darum immer wieder und wieder, er wolle jene erhören, die auf ihn hoffen. Christus fordert uns auf, mit Vertrauen zu beten. Um uns diese Gesinnung tief einzuprägen, bedient er sich nicht nur der dringendsten Mahnungen, sondern auch der rührendsten Gleichnisse. Er versichert, dass der, welcher bittet, erhalten wird. Dann fügt er hinzu: "Oder ist wohl jemand unter euch, der seinem Sohne, wenn er um Brot bäte, einen Stein reichen wird? ... Wenn ihr nun, obgleich ihr böse seid, euern Kindern gute Gaben zu geben wisset, wie viel mehr wird euer Vater, der im Himmel ist, denen Gutes geben, die ihn bitten? " (Mt 7,7-11) Beim letzten Abendmahle kommt er darauf zurück: "Wahrlich, wahrlich. sage ich euch, ... um was immer ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das werde ich tun, damit der Vater in dem Sohne verherrlicht werde. Wenn Ihr mich um etwas bitten werdet in meinem Namen, so werde ich es tun." (Joh 14,13-14) Es hieße also Gott und seinem Versprechen misstrauen, Jesu unendliche Verdienste und seine allmächtige Mittlerschaft unterschätzen, wenn das unbedingte Vertrauen beim Gebete fehlte.
Freilich scheint Gott unseren Gebeten gegenüber zuweilen taub zu sein, weil er will, dass unser Vertrauen beharrlich sei, damit wir die Tiefe unseres Elends und den Wert der Gnade um so mehr ermessen. Aber an dem Beispiel der Kananiterin (Mt 15,24-28) zeigt er uns, wie gerne er sich Gewalt antun lasse, scheint er uns zurückzustoßen. Ein kananäische Frau kommt zu Jesus und fleht ihn an, ihre vom Teufel gequälte Tochter zu heilen. Jesus antwortet Ihr nicht. Sie wendet sich darauf an die Jünger, belästigt sie mit ihrem Rufen, so dass sie den Herrn bitten, einzuschreiten. Er antwortet, seine Sendung erstrecke sich nur auf die Kinder Israels. Ohne sich zu entmutigen, wirft sich das arme Weib dem Heilande zu Füssen und spricht: "Herr, hilf mir!" Jesus erwidert mit scheinbarer Härte, es sei nicht recht, das Brot der Kinder zu nehmen und es den Hündchen vorzuwerfen. "Ja, das ist wahr, Herr", sagt sie, "aber auch die Hündlein essen von den Brosamen, die von dem Tische ihrer Herren fallen." Durch solch beharrliches und demütiges Vertrauen besiegt, gewährt Jesus endlich die erflehte Gunst und heilt ihre Tochter in derselben Stunde. Konnte er uns besser zu verstehen geben, wir würden sicher erhört werden, wenn wir trotz unserer Misserfolge in demütigem Vertrauen ausharren?
Achtsamkeit: Zu diesem beharrlichen Vertrauen jedoch muss die Achtsamkeit kommen oder wenigstens redliches Bemühen, an das zu denken, was wir Gott sagen. Unfreiwillige Zerstreuungen, die wir zurückzuweisen und zu vermindern suchen, sind kein Hindernis für das Gebet, denn durch die Anstrengungen, die wir machen, bleibt unsere Seele auf Gott gerichtet. Freiwillige Zerstreuungen hingegen, die wir bewusst annehmen oder nur schwach zurückweisen, oder deren Veranlassung wir nicht beheben wollen, sind bei den vorgeschriebenen Gebeten lässliche Sünden, bei anderen Nachlässigkeit, Mangel an Ehrfurcht gegen Gott, der dadurch nicht zum Erhören geneigt gemacht wird.
Das Gebet ist eine Audienz, die unser Schöpfer uns gewährt, ein Gespräch mit unserm Vater im Himmel. Wir flehen zu ihm, er möge auf unsere Worte hören und auf unsere Bitten achten. Und in demselben Augenblick, da wir ihn bitten, uns anzuhören und mit uns zu sprechen, sollten wir uns nicht redlich Mühe geben, den Sinn unserer eignen Worte zu verstehen und auf die göttlichen Einsprechungen aufzumerken! Wäre das nicht eine Inkonsequenz und gleichzeitig eine mangelhafte Gottesverehrung? Verdienten wir da nicht den Vorwurf des Heilandes, den er den Pharisäern machte : "Dieses Volk ehrt mich zwar mit den Lippen, ihr Herz aber ist fern von mir." (Mt 15,8).
Man muss sich also redlich Mühe geben, um schnell und energisch die sich einstellenden Zerstreuungen zurückzuweisen, sich wegen derselben verdemütigen und sie benutzen, um aufs neue sich mit Jesus zu vereinigen und mit ihm zu beten. Die Menge der Zerstreuungen muss vermindert werden und zwar durch energischen Kampf gegen deren Ursachen, als da sind gewohnheitsmäßige Zerstreutheit des Geistes, Nachgeben bei Träumereien, Geist und Herz fesselnde Besorgnisse und Anhänglichkelten.
Durch Übung der guten Meinung und durch Stossgebete muss man sich nach und nach daran gewöhnen, das Andenken an die Gegenwart Gottes oft zu erneuern. Bedienen wir uns recht oft dieser Mittel, so haben wir keinen Grund, uns wegen der unfreiwilligen Zerstreuungen zu beunruhigen, die durch den Kopf gehen oder die Phantasie gefangen halten. Das sind Prüfungen, nicht Fehltritte. Machen wir sie uns zunutze, so vermehren sie unsere Verdienste und den Wert unserer Gebete.
Wir können auf dreifache Weise unseren Gebeten Aufmerksamkeit zuwenden. 1. Bemühen wir uns, die Worte gut auszusprechen, so ist die Aufmerksamkeit verbal. Sie setzt bereits eine gewisse Anstrengung voraus, um auch immer an das zu denken, was man sagt. 2. Gibt man sich hauptsächlich Mühe, den Sinn der Worte zu verstehen, so ist das Textaufmerken oder intellektuelle Aufmerksamkeit. 3. Beachtet man wenig den Text und erhebt sich die Seele zu Gott, um ihn anzubeten, ihn zu preisen, sich mit ihm zu vereinigen
oder um in den Geist des betreffenden Geheimnisses sich zu vertiefen oder um Gott zu bitten um alles, was die Kirche, was Jesus erbittet, so ist die Aufmerksamkeit geistig oder mystisch. Diese eignet sich nicht für Anfänger, sie ist mehr für fortgeschrittene Seelen.
Denen, die anfangen, Geschmack am Gebete zu finden, muss man also die eine oder andere der ersten zwei Arten von Aufmerksamkeit anempfehlen. Dem einzelnen je nach seinem Charakter, seinem Gnadenzug und den Verhältnissen, in denen er sich befindet. Adolphe Tanquerey 1854 -1932 (Auszüge aus: Grundriss der aszetischen und mystischen Theologie)
Die Betrachtung
1. Begriff und wesentliche Bestandteile
Wie wir oben sagten, gibt es zwei Gebetsarten. Das mündliche Gebet, das durch Worte oder Bewegungen ausgedrückt wird, und das innere Gebet, welches im Innern der Seele vor sich geht. Dieses ist eine Erhebung und Hinwendung der Seele zu Gott, um ihm pflichtgemäß zu huldigen und dadurch zu seiner Ehre besser zu werden.
Es umfasst fünf Hauptbestandteile: 1. Religiöse Pflichten, die man gegen Gott, den Heiland oder die Heiligen erfüllt. 2. Erwägungen über Gott und unsere Beziehungen zu ihm, um unsere Überzeugung
bezüglich der christlichen Tugenden zu nähren und zu stärken.
3. Rückblicke auf uns selbst, um festzustellen, wie wir es mit der Übung der Tugenden halten. 4. Eigentliche Gebete, um die notwendige Gnade zur Übung dieser oder jener Tugend zu erlangen. 5. Vorsätze der Besserung für die Zukunft.
Diese Akte brauchen nicht in der angegebenen Folge, noch alle in demselben Gebet stattzufinden, aber damit das Gebet Betrachtung genannt werden könne, muss es eine gewisse Zeitlang dauern und sich so von den Stossgebeten unterscheiden. Je mehr die Seelen in der Vollkommenheit fortschreiten und tiefwurzelnde Überzeugungen erwerben, die sie rasch erneuern können, desto mehr vereinfacht sich ihr inneres Gebet. Dieses besteht dann zuweilen nur in einfachem, liebenden Aufblick, wie wir später zeigen werden.
Unterschied zwischen betrachtendem und innerem Gebet: Die Ausdrücke "Betrachtung " und "inneres Gebet " werden oft ohne Unterschied gebraucht. Will man sie unterscheiden, so nennt man vorzugsweise Betrachtung jene Art inneren Gebetes, bei welcher die Erwägung oder Verstandestätigkeit vorwiegt, daher diskursive Betrachtung heißt. Beim eigentlichen inneren Gebet sind es fromme Anmutungen oder Akte des Willens, welche vorherrschen. Jedoch die diskursive Betrachtung selbst enthält schon Gemütstätigkeit, und andererseits gehen dem affektiven, inneren Gebet gewöhnlich einige Erwägungen voraus oder begleiten es, außer, wenn die Seele vom Lichte der Beschauung erfüllt ist. Die Gebetsweise, die gewöhnlich den Anfängern entspricht, ist die der diskursiven Betrachtung. Sie ist ihnen zur Erwerbung oder Festigung ihrer Überzeugungen notwendig. Es gibt indessen gemütvolle Seelen, die fast von Anfang an der Gemütstätigkeit großen Anteil gewähren. Alle müssen aufmerksam gemacht werden, der größte Teil des inneren Gebetes bestehe in Willensakten.
2. Vorzüge des betrachtenden Gebetes
Das betrachtende Gebet, so wie wir es beschrieben haben, trägt viel zum Heile und zur Vollkommenheit bei. Es trennt uns von der Sünde und deren Ursachen. In der Tat. So oft wir sündigen, geschieht es aus Mangel an Nachdenken und aus Willensschwäche. Die Betrachtung aber bessert uns in dieser zweifachen Hinsicht. Sie erleuchtet uns nämlich über die Bosheit der Sünde und deren furchtbare Folgen, indem wir sie im Lichte Gottes, der Ewigkeit und der Sühneleistungen des Heilandes erkennen. "Die Betrachtung", sagt P. Crasset, "führt uns m Geiste in jene geweihten Einsamkeiten, in denen man Gott allein findet im Frieden, in der Ruhe, im Schweigen und in der Sammlung. Sie ist es, die uns geistiger Weise in die Hölle blicken und uns dort unsern Platz schauen lässt. Auf den Gottesacker, wo unsere Wohnung sein wird. In den Himmel, wo uns ein Thron errichtet ist. In das Tal Josaphat, um dort unseren Richter, nach Bethlehem, um dort unsern Erlöser, auf den Tabor, um dort unsere Liebe, zum Kalvarienberg, um dort unser Vorbild zu sehen." Sie trennt uns auch von der Welt und deren falschen Genüssen. Sie erinnert uns an die Vergänglichkeit der irdischen Güter, an die damit verbundenen Sorgen, an die Leere und den Widerwillen, den sie in der Seele hinterlassen. Sie verwahrt uns gegen die Hinterlist und Verdorbenheit der Welt und führt uns zur Erkenntnis, Gott allein könne unser Glück ausmachen. Sie trennt uns hauptsächlich von uns selbst, von unserem Stolze, unserer Sinnlichkeit und stellt uns und unser Nichts Gott gegenüber, der die Fülle des Seins ist. Sie zeigt uns auch, wie die sinnlichen Genüsse den Menschen unter das Tier erniedrigen, während die übernatürlichen Freuden ihn adeln und zu Gott erheben. Sie stärkt unsern Willen, nicht nur, weil wir durch sie Überzeugungen gewinnen, sondern weil sie allmählich unsere Trägheit, Feigheit und Unbeständigkeit beseitigt. Tatsächlich kann nur die Gnade mit unserer Mitarbeit diese Schwächen heilen. Das innere Gebet nun veranlasst uns, diese Gnade um so eifriger zu erflehen, je mehr wir durch Nachdenken uns unserer Ohnmacht bewusst werden. Auch sind die Akte des Bedauerns, der Reue, des festen Entschlusses, die während der Betrachtung erweckt werden, bereits tätiges Mitwirken mit der Gnade. Die Betrachtung veranlasst uns auch zur Übung der erhabenen, christlichen Tugenden. Sie erleuchtet den Glauben, denn sie führt uns immer wieder die ewigen Wahrheiten vor Augen. Sie stärkt die Hoffnung, weil sie uns Zutritt zu Gott und seiner Hilfe verschafft. Sie eifert zur Liebe an, da sie uns die Schönheit und Güte Gottes offenbart. Wir erlangen durch sie Klugheit: denn sie gewöhnt uns an das Nachdenken, ehe wir handeln. Gerechtigkeit durch Gleichförmigkeit mit dem göttlichen Willen, Stärke durch Anteilnahme an der Macht Gottes, Mäßigkeit durch Einschränkung unserer Wünsche und Leidenschaften. Es gibt demnach keine christliche Tugend, die wir nicht durch die tägliche Betrachtung erlangen könnten. Durch sie bekennen wir uns zur Wahrheit, und die Wahrheit, die uns von unseren Mängeln befreit, wird uns zur Tugend führen. So bereitet sie unsere Vereinigung und sogar unsere Verwandlung in Gott vor. Ist sie doch ein Gespräch mit Gott, das von Tag zu Tag inniger, zärtlicher und länger wird. Es wird nämlich auch bei der Arbeit während des Tages fortesetzt. Durch den häufigen Verkehr mit dem Urheber aller Vollkommenheit wird man dann selbst davon durchtränkt, durchdrungen, wie der Schwamm sich mit der Flüssigkeit anfüllt, in die er getaucht wird. Wie das Eisen im Hochofen erglüht, schmiegsam und dem Feuer ähnlich wird.
3. Die Notwendigkeit des betrachtenden Gebetes
A) Für die gewöhnlichen Christen Das methodische Betrachten ist ein sehr wirksames Heiligungsmittel. Es ist jedoch nicht zum Heile der Christen in ihrer Gesamtheit notwendig. Zur Erfüllung der Pflichten gegen Gott und zur Erlangung der Gnaden ist das Gebet notwendig. Das kann augenscheinlich nicht ohne eine gewisse Aufmerksamkeit des Geistes und ohne Verlangen des Herzens geschehen. Dazu müssen freilich Erwägungen der Wahrheiten und die wichtigsten Christenpflichten sich gesellen, nebst Rückblicken auf uns selbst. Alles jedoch kann ohne eigentliche Betrachtung geschehen, indem man den sonntäglichen Predigten beiwohnt, gute Bücher liest und sein Gewissen erforscht. Dennoch ist es sehr nützlich und heilsam allen jenen, die fortschreiten und ihre Seele retten wollen, den Anfängern ebenso gut wie denen, die bereits Fortschritte gemacht haben. Ja, man kann behaupten, es sei das zur Sicherstellung des Seelenheils wirksamste Mittel. So lehrt der hl. Alphons. Er gibt dafür folgenden Grund an: Bei anderen Andachtsübungen, wie z. B. Rosenkranz, Muttergottesoffizium, Fasten kann man leider in der Todsünde weiterleben. Bei Übung des inneren Gebetes jedoch kann man nicht lange in schwerer Sünde verbleiben. Entweder gibt man die Betrachtung auf oder entsagt der Sünde. Wie könnte man denn jeden Tag vor Gott, den Urheber aller Heiligkeit, hintreten, mit dem klaren Bewusstsein, im Stande der Todsünde zu sein, ohne mit dem Beistande der Gnade den festen Vorsatz zu fassen, seine Sünde zu verabscheuen und zu Füssen des Beichtvaters die Verzeihung zu erflehen, deren unbedingte Notwendigkeit man einsieht? Hat man, im Gegenteil, keine ganz bestimmte Zeit und keine bestimmte Methode festgesetzt, um über die großen Wahrheiten in Ruhe nachzudenken, so lässt man sich bald durch Zerstreuungen und die Beispiele der Welt mitreißen und, ohne es zu merken, gleitet man in die Sünde.
B) Moralische Notwendigkeit des inneren Gebetes für die Seelsorger. Wir sprechen hier nicht von den Ordenspriestern, die als solche das Brevier langsam und andächtig im Chor beten und in diesem gemeinschaftlichen Gebete, sowie in ihren Lesungen und ihren anderen Gebeten einen gleichwertigen Ersatz für das innere Gebet finden mögen. Jedoch dürfen wir nicht außer acht lassen, dass selbst in den Orden, in denen das Offizium im Chor gesungen wird, die Regel wenigstens eine halbe Stunde Betrachtung vorschreibt, eben weil man überzeugt ist, das innere Gebet sei die Seele des mündlichen und unterstütze den Eifer beim Chorgebet. Wir bemerken ferner, die seit dem 16. Jahrhundert vorhandenen Orden legen noch mehr Nachdruck auf das innere Gebet, und das Kanonische Rechtsbuch schreibt den Ordensoberen vor, darauf zu achten, dass alle nicht rechtmäßig verhinderten Ordensleute täglich eine gewisse Zeit dem inneren Gebete widmen. 1 Vgl.: CIC 1917 c. 595.
Die Seelsorger meinen wir also hier ganz besonders Seelsorger, die von apostolischen Arbeiten ganz in Anspruch genommen werden. Wir behaupten, die regelmäßige Übung des inneren Gebetes, und zwar zu genau festgesetzter Stunde, sei eine moralische Notwendigkeit für ihre Beharrlichkeit und Heiligung. Sie haben in der Tat zahlreiche und wichtige Pflichten unter schwerer Sünde zu erfüllen und sind andererseits zuweilen während der Ausübung ihres Amtes sehr lästigen Versuchungen ausgesetzt. Um nun diesen Versuchungen zu widerstehen und treu und übernatürlich alle ihre Pflichten zu erfüllen, müssen sie von tiefinnerlicher Überzeugung beseelt sein und durch besondere Gnaden in ihrem schwankenden Willen unterstützt werden. Allgemein wird zugegeben, sowohl das eine wie das andere werde durch die tägliche Betrachtung erworben. Man sage nur nicht, auch diese Priester könnten in der hl. Messe und im Breviergebet etwas Gleichwertiges für das innere Gebet finden. Zweifellos sind Messe und andächtig gebetetes Brevier wirksame Mittel für Ausdauer und Fortschritt. Die Erfahrung beweist aber, ein durch seine Amtspflichten in Anspruch genommener Priester könne auch jenen zwei ernsten Verpflichtungen nur unter der Bedingung gut nachkommen, wenn er in der Betrachtung innere Sammlung und Gebetsgeist sich angeeignet hat. Vernachlässigt er diese hl. Übung, wie wird er inmitten all der Beschäftigungen und Belästigungen, die auf ihn einstürmen, die nötige Zeit finden, sich recht zu sammeln und übernatürliche Geisteserneuerung zu üben? Sammelt er sich aber nicht und erneuert er sich nicht innerlich, so werden ihn bald die vielen Zerstreuungen überwältigen, selbst mitten in den heiligsten Beschäftigungen. Seine Überzeugungen werden schwächer, seine Kraft wird geringer, Nachlässigkeiten und Fehler häufen sich und Lauheit befällt ihn. Naht die Versuchung ernst, beharrlich und quälend, so sind die zur Abweisung des Feindes notwendigen, starken Einsichten nicht mehr seinem Geiste gegenwärtig. Er läuft Gefahr, zu erliegen. "Pflege ich das innere Gebet", sagt Dom Chautard, "so bin ich wie mit einem eisernen Panzer umgeben, für die feindlichen Pfeile unverwundbar. Ohne das innere Gebet werden sie mich sicher erreichen." – "Inneres Gebet – oder große Gefahr der Verdammnis für den in der Welt lebenden Priester", erklärte ohne Zögern der fromme, gelehrte und kluge P. Desurmont, einer der erfahrensten Leiter der Priesterexerzitien. – "Für den wahren Apostel gibt es keinen Mittelweg zwischen der Heiligkeit, die, wenn sie nicht bereits erworben ist, doch wenigstens gewünscht und erstrebt werden muss, und dem fortschreitenden Verderben", sagt seinerseits Kardinal Lavigerie. Übrigens genügt es für den Priester nicht die Sünde zu meiden. Um seine Pflichten als Gottgeweihter und als Seelenretter zu erfüllen, muss er für gewöhnlich mit Jesus, dem Hohenpriester, vereinigt sein. Dieser allein verherrlicht Gott und rettet die Seelen. Wie aber wird er sich inmitten der Sorgen und Mühen seines Amtes mit ihm vereinigen, wenn er keine bestimmte, genügend lange Zeit angesetzt hat, um sich in diese Vereinigung zu vertiefen, um lange und voll Liebe seines göttlichen Vorbildes zu gedenken und durch das Gebet seinen Geist, seine Gesinnungen und seine Gnade auf sich herabzuziehen? In dieser Vereinigung wird seine Kraft verhundertfacht, sein Vertrauen merklich gesteigert, die Fruchtbarkeit seines Amtes gesichert. Nicht er ist es, der spricht, Jesus spricht durch seinen Mund. Nicht er ist es, der handelt, er ist nur ein Werkzeug in der Hand Gottes. Weil er sich bemüht, die Tugenden des Heilandes nachzuahmen, so wirkt sein Beispiel auf die Seelen mehr als seine Worte. Hört er jedoch auf, das betrachtende Gebet zu üben, wird er die Gewohnheit der geistigen Sammlung und des Gebetes verlieren und nur ein tönendes Erz und eine klingende Schelle sein. Darum hat auch Papst Pius X. die Notwendigkeit des inneren Gebetes klar und deutlich verkündet. Auch das Kirchliche Gesetzbuch schreibt den Bischöfen vor, darauf zu achten, dass die Priester jeden Talg einige Zeit dem inneren Gebete widmen, 2 ebenso sollen es die Alumnen pflegen. 3 Heißt das nicht, die moralische Notwendigkeit der Betrachtung für die Geistlichkeit verkünden? Es verriete demnach wenig Seelenkenntnis, wollte man den durch Seelsorgspflichten in Anspruch genommenen Geistlichen anraten, die Betrachtung zu unterlassen und dafür die Messe frommer zu lesen und das Brevier umso andächtiger zu beten. Die Erfahrung lehrt, unterlässt man die Betrachtung, wird das andächtige Beten des Breviers fast unmöglich. Man entledigt sich dessen, wann und wie man kann, mit häufigen Unterbrechungen, während der Geist ganz mit dem beschäftigt ist, was man gehört hat oder was man sagen wird. In Wirklichkeit ist es die Betrachtung, die andächtiges Zelebrieren der hl. Messe sichert und geistige Sammlung vor Beginn des Breviergebetes ermöglicht. Was wir von den Priestern sagten, gilt das nicht auch in gewisser Hinsicht von jenen hochherzigen Laien, die einen Teil ihrer Zeit dem Apostolat widmen? Wünschen sie, ihr Apostolat trage Früchte, so sei es durch Innerlichkeit und Gebet beseelt. Man behaupte nicht, die Zeit, die man für geistliche Übungen verwendet, gehe für gute Werke verloren. Das hieße den pelagianischen Irrtum streifen, die äußere Tätigkeit für notwendiger halten als Gnade und Gebet, während in Wirklichkeit das Apostolat um so fruchtbarer ist, je tiefer das innere Leben des Apostels ist, je mehr es durch inneres Gebet genährt wird.
Adolphe Tanquerey 1854 -1932 (Auszüge aus: Grundriss der aszetischen und mystischen Theologie)
Oben erwähnten wir bereits, die Betrachtung der Anfänger sei vorwiegend diskursiv.
Die Verstandestätigkeit herrscht vor, obgleich den Willensaffekten Raum gelassen wird. Nun haben wir noch darzulegen:
1. über welche Gegenstände Anfänger meistens betrachten sollen, 2. welche Schwierigkeiten ihnen sich in den Weg stellen.
1. Über welche Gegenstände sollen Anfänger betrachten?
Allgemein gesagt, sollen sie über alles betrachten, was ihnen wachsenden Abscheu vor der Sünde einflössen kann. Über die Ursachen ihrer Fehler, die Abtötung als deren Heilmittel, über ihre wichtigsten Standespflichten, den guten Gebrauch oder den Missbrauch der Gnade, über Jesus als Vorbild der Büßer.
Um beständig zunehmenden Abscheu vor der Sünde zu erlangen, mögen sie betrachten:
a. Ziel und Ende des Menschen und des Christen, folglich Erschaffung und Erhebung des Menschen zum Stande der Übernatur. Sündenfall und Erlösung. Die Rechte Gottes, des Schöpfers, Heiligers und Erlösers. Gewisse Eigenschaften Gottes, die von der Sünde entfernen, wie z. B. seine Unermesslichkeit, wodurch er jedem Geschöpfe, besonders der Seele im Stande der Gnade, nahe ist. Seine Heiligkeit, weshalb er die Sünde verabscheuen muss. Seine Gerechtigkeit, welche die Sünde bestraft. Seine Barmherzigkeit, wodurch er zum Verzeihen neigt. Alle diese Wahrheiten veranlassen uns nämlich zur Flucht vor der Sünde, dem einzigen Hindernis unseres Seelenheils, dem Feinde Gottes, dem Zerstörer des übernatürlichen Lebens, das Gott uns als höchsten Beweis seiner Liebe zu uns verlieh und das der Erlöser um den Preis seines Blutes wiederherstellte. b. Die Sünde als solche. Ihren Ursprung, ihre Bestrafung, Bosheit und ihre furchtbaren Wirkungen. Ursachen, die uns zur Sünde führen. Begierlichkeit, Welt und Teufel. c. Mittel, die Sünde zu sühnen und zu verhindern, Busse, Abtötung unserer verschiedenen Fähigkeiten, unserer Neigungen zum Bösen. Besonders Betrachtung der sieben Hauptsünden mit der praktischen Folgerung, man könne nicht in Sicherheit sein, solange man nicht alle diese bösen Neigungen ausgerottet oder wenigstens bezwungen habe. Man soll auch der Reihe nach alle positiven Pflichten eines Christen zum Gegenstande der Betrachtung machen. Die allgemeinen Pflichten gegen Gott, gegen den Nächsten, des berechtigten Misstrauens gegen sich selbst wegen unserer Hilflosigkeit und unseres Elends. Anfängern wird zunächst das Äußere dieser Tugenden ins Auge fallen. Das wird eine Vorbereitung auf die gründlicheren Tugenden sein, die sie auf dem Erleuchtungswege üben werden. Besondere Pflichten bezüglich des Alters, der Stellung, des Geschlechtes und der Lebensverhältnisse. Die Ausübung dieser Pflichten ist in der Tat die beste Bußübung. Da der Gnade eine so hervorragende Bedeutung im christlichen Leben zukommt, ist es wohl notwendig, Anfänger nach und nach in das Grundlegende des christlichen Lebens einzuführen, auf sie zu übertragen, was wir vom Innewohnen des Hl. Geistes in unserer Seele, von unserer Einverleibung in Christus, von der habituellen Gnade, den Tugenden und Gaben sagten. Allerdings werden sie zunächst nur die ersten Kenntnisse dieser großen Wahrheiten erwerben.
Das Wenige jedoch, das sie erfassen wird Ihre Heranbildung und ihnen geistlichen Fortschritt in außergewöhnlicher Welse beeinflussen. Gerade beim Betrachten der Dinge, die Gott für uns tat und zu tun nicht aufhört, wird man zu größerer Aufopferung in seinem Dienste angeregt werden. Vergessen wir nicht, der hl. Paulus und der hl. Johannes predigten diese Wahrheiten vor den bekehrten Helden, die auch nur Anfänger im geistlichen Leben waren. Dann wird es leichter sein, ihnen Jesus als Vorbild der wahren Büßer vor Augen zu halten. Wie der Heiland um des Beispiels willen sich zu Demut, Gehorsam, harter Arbeit verurteilt, wie er für uns in der Wüste, im Ölgarten, bei seinem bitteren Leiden Buße tut; wie er für uns am Kreuze stirbt. Diese Reihenfolge von Betrachtungen, die uns die Kirche alljährlich in der Liturgie vorlegt, hat den Vorzug, dass die Buße in Vereinigung mit Jesus Christus großmütiger und mit mehr Liebe und darum auch mit größerer Wirksamkeit geübt wird.
2. Schwierigkeiten, mit denen Anfänger zu rechnen haben
Besondere Schwierigkeiten, welche Anfänger bei der Betrachtung haben, beruhen auf ihrer Unerfahrenheit, ihrem Mangel an Großmut und besonders auf den vielen Zerstreuungen, denen sie unterworfen sind. Unerfahrenheit: Wegen ihrer Unerfahrenheit sind sie geneigt, aus ihrer Betrachtung eine Art philosophische oder theologische Dissertation zu machen oder eine Art Predigt, die sie sich selbst halten. Freilich geht dadurch die Zeit nicht verloren, denn trotz allem denken sie bei diesem Betrachten an die großen Wahrheiten, und festigen ihre Überzeugungen. Dennoch würden sie mehr Nutzen ziehen, gingen sie praktischer und in mehr übernatürlicher Weise dabei zu Werke. Darüber muss ein tüchtiger Seelenführer sie unterrichten. Er soll ihnen beibringen, a) dass diese Erwägungen, um praktisch zu sein, mehr persönlich gehalten, auf sich selbst bezogen sein müssen, dass ferner ihnen eine Gewissensprüfung folgen muss, um zu erkennen, inwiefern man diese Wahrheiten praktisch betätigt und was man tun könnte, um im Laufe des Tages sein Leben danach einzurichten. b) Dass das Wichtigste beim inneren Gebet die Willensakte sind, Akte der Anbetung, der Dankbarkeit und der Liebe in Bezug auf Gott. Akte der Verdemütigung, der Reue, des guten Vorsatzes betreffs der Sünden. Akte des Verlangens und der Bitte, um die Gnade der Besserung zu erlangen, feste Vorsätze, die man oft erneuert, den ganzen Tag über besser als bisher zu handeln. Mangel an Großmut: Wegen ihres Mangels an Großmut laufen sie Gefahr, sich zu entmutigen, sobald, sie nicht mehr durch fühlbaren Trost gestützt werden, den ihnen Gott anfangs in seiner Güte zuteil werden ließ, um sie an sich zu ziehen. Sie stoßen sich dann an Schwierigkeiten, an den ersten inneren Trostlosigkeiten, und, in der Meinung, von Gott verlassen zu sein, verfallen sie der Erschlaffung. Man muss ihnen also nachweisen, Gott verlange von uns die Anstrengung, nicht den Erfolg. Das Verharren im Gebet sei um so verdienstlicher, je mehr Schwierigkeiten hinzukämen, und es ein Zeichen von Feigheit, etwas Mühe zu scheuen, während Gott sich so freigebig gegen uns zeige. Was man sagt, muss durch die sanfte Weise gemildert werden, mit der man an diese Wahrheiten erinnert und durch recht väterlichen, ermutigenden Zuspruch.
2 Zerstreuungen: Das größte Hindernis bilden jedoch die Zerstreuungen: Da im Anfang des geistlichen Lebens Phantasie, Gefühl und irdische Anhänglichkeit noch weit davon entfernt sind, gezügelt zu sein, so wird die Seele zur Zeit der Betrachtung von weltlichen und zuweilen gefährlichen Vorstellungen, von unnützen Gedanken und den verschiedensten Regungen des Herzens geradezu bestürmt. Hier ist wieder die Aufgabe des Seelenführers von hoher Bedeutung. Zunächst erinnere er an die Unterscheidung zwischen freiwilligen Zerstreuungen und jenen die nicht freiwillig sind. Die Zerstreuungen sind freiwillig an sich, hält man sie vorsätzlich fest oder bemerkt man die Zügellosigkeit der Phantasie und tut nichts dagegen. Sie sind freiwillig der Ursache nach, wenn man voraussieht, diese oder jene aufreizende Beschäftigung, dieses oder jenes Buch, dessen Lektüre überflüssig ist, könne eine Quelle von Zerstreuungen werden und man unterlässt sie dennoch nicht. Er fordere sein Beichtkind auf, nur auf erstere zu achten, um deren Menge zu vermindern. Damit dieses erreicht werde, muss man die Zerstreuungen schnell, energisch und beharrlich zurückweisen, sobald man sich ihrer bewusst wird. Wären sie selbst zahlreich und gefährlich, so werden sie doch erst schuldbar, hält man sich freiwillig dabei auf. Die Anstrengung, mit der man sie abweist, ist eine sehr verdienstliche Tat. Wenn sie zwanzigmal anstürmen und ebenso vielmal abgewiesen werden, wird das ein vorzügliches Gebet sein, viel verdienstlicher als eine Betrachtung, bei der wir, Dank der Gnade Gottes, nur wenige Zerstreuungen hatten. Zur besseren Abweisung der Zerstreuungen ist es wichtig, seine Ohnmacht demütig einzugestehen, sich positiv mit dem Heiland zu vereinigen und seine Anbetung und Bitten Gott darzubringen. Im Notfalle benütze man ein Buch, um die Aufmerksamkeit zu fesseln. Will man die Menge der Zerstreuungen vermindern, so genügt es nicht, sie abzuweisen, sondern man muss vor allem deren Ursache ins Auge fassen. Viele Zerstreuungen kommen nämlich von mangelhafter Vorbereitung oder von gewohnheits- mäßiger Zerfahrenheit her. Man fordere deshalb den, welcher sich mit dem inneren Gebet befassen will, auf, die Betrachtung am Vorabend besser vorzubereiten, sich nicht zu begnügen, den Stoff einfach durchzulesen, sondern etwas Persönliches hinzuzufügen, sich zu fragen, inwiefern der Gegenstand der Betrachtung für ihn persönlich praktisch zu verwerten sei, vor dem Einschlafen sich noch einmal mit ihm zu befassen, an statt an allerlei zu denken oder sich in ungesunden Träumereien gehen zu lassen. Man weise den Anfänger besonders auf die Mittel hin, die zur Zügelung der Phantasie und des Gedächtnisses dienen und von denen wir bald sprechen werden.
Je mehr nämlich die Seele in der Übung der Sammlung und der gewohnheitsmäßigen Losschälung fortschreitet, um so mehr nehmen die Zerstreuungen ab. Adolphe Tanquerey 1854 -1932 (Auszüge aus: Grundriss der aszetischen und mystischen Theologie)
Vorbemerkung: Innerhalb der Exerzitien ging Ignatius von einer Stunde pro Betrachtung aus. Die Betrachtung wird am Tag vorher vorbereitet:
1. Der Text wird ausgewählt und gelesen. 2. Es werden - immer schriftlich - “Punkte” erstellt, welche den Text zusammenfassen und am nächsten Tag als Betrachtungspunkte dienen, anhand denen man betrachtet. - Den Zettel mit den Punkten hat man beim Betrachten vor sich liegen. - Der Schrifttext selbst kann zu Beginn der Betrachtung noch einmal ganz gelesen werden, sollte dann aber weggelegt werden. - Die Betrachtung soll nämlich kein dauerndes am Text-Hängen sein, sondern in das Zwiegespräch mit den Herrn einmünden. Ein Beispiel von Ignatius selbst für solche “Punkte” anhand von Lk 7,36-50: [Die Bekehrung der Magdalena]
ERSTENS: Magdalena tritt ein, wo Christus, Unser Herr, im Hause des Pharisäers zu Tische saß; sie trug ein Alabastergefäß voll Öl. ZWEITENS: Sie stand hinter dem Herrn zu Seinen Füßen und begann sie mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und sie küsste Seine Füße und salbte sie mit Öl. DRITTENS: Da der Pharisäer Magdalena beschuldigte, spricht Christus zu ihre Verteidigung die Worte: Ihr werden viele Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat.
Und Er sprach zu dem Weibe: Dein Glaube hat dir geholfen, geh hin im Frieden.”
3. Ignatius schreibt: “Nach dem Zu-Bett-Gehen, da ich einschlafen möchte, während der Dauer eines Ave Maria überlegen, wann und zu welchem Zweck ich aufzustehen gedenke, und dabei die Übung, die ich zu halten habe, kurz durchgehen.” → also unmittelbar vor dem Einschlafen noch eine kurze (!) Besinnung auf die Schriftbetrachtung am nächsten Morgen. Unmittelbar vor der Schriftbetrachtung selbst:
1. “Sich in die Gegenwart Gottes versetzen” Ignatius schreibt: “Einen Schritt oder zwei vor dem Ort, an dem ich die Betrachtung oder Besinnung zu halten beabsichtige, werde ich mich auf die Zeit eines Vater Unser hinstellen und, den Geist noch oben gerichtet, erwägen, wie Gott, Unser Herr, mich anschaut usw., und mich innerlich vor Ihm verneigen oder demütigen.” →wiederum ein kurzer Vorgang. 2. “Das Vorbereitungsgebet” Ignatius schreibt: “Das Vorbereitungsgebet ist: von Gott, Unserem Herrn, die Gnade erbitten dazu hin, dass alle meine Absichten, Handlungen und Beschäftigungen rein im Dienst und in der Verherrlichung Seiner Göttlichen Majestät geordnet seien.” 3. “Die Zurichtung des Schauplatzes” Man stellt sich die äußerlichen Begebenheiten des Textes bildlich und sinnlich vor. Ignatius schreibt: “Hier ist zu bemerken, daß bei der Betrachtung oder bei der Besinnung über einen sichtbaren Gegenstand, wie etwa beim Anschauen Christi, Unseres Herrn, welcher anschaubar ist, die Zurichtung darin bestehen wird, mit der Schau der Einbildung den leiblichen Ort zu sehen, an dem sich die zu betrachtende Sache befindet. Leiblichen Ort nenne ich zum Beispiel einen Tempel oder einen Berg, auf dem Jesus Christus oder Unsere Herrin sich befinden, je nachdem, was ich betrachten will.” "Betrachtet man über Unanschauliches, wie über die Sünden, so besteht die Zurichtung darin, mit der Schau der Einbildung zu sehen und zu betrachten, wie meine Seele eingekerkert ist in diesem verweslichen Leibe, und der ganze Mensch in diesem Erdental wie verbannt unter unvernünftige Tiere, ich meine den ganzen Menschen, wie er zusammengesetzt ist aus Seele und Leib.” 4. "Die konkrete Bitte” Ignatius schreibt: “Erbitten von Gott, Unserm Herrn, was ich begehre und ersehne. Die Bitte hat sich nach dem vorliegenden Stoff zu richten. Handelt also die Betrachtung von der Auferstehung, ist Freude mit dem sich freuenden Christus zu erbitten; handelt sie vom Leiden, ist Leiden, Tränen und Folter mit dem gequälten Christus zu erbitten. In der vorliegenden Betrachtung wird Beschämung und Verwirrung über mich selbst zu erbitten sein, angesichts dessen, wie viele um einer einzigen Todsünde willen verdammt sind, und wie oft ich es verdient hätte, für immer verdammt zu werden ob meiner so vielen Sünden.” → diese Bitte richtet sich also immer nach dem Betrachtungstext.
Anmerkung: Ignatius schreibt: “Vor allen Betrachtungen ist stets das Vorbereitungsgebet [Nr. 2] zu verrichten, das nie geändert wird, und die erwähnten beiden Einstellungen [Nr. 3 u. 4], die sich zuweilen nach dem vorliegenden Stoff abwandeln.”
5. Sodann erfolgt die Betrachtung anhand der “Punkte”. 6. Während der einzelnen Punkte soll sich ein “persönliches Gespräch mit Christus” entwickeln. Ignatius schreibt: “Das Gespräch wird mit richtigen Worten gehalten, so wie ein Freund mit seinem Freunde spricht oder ein Knecht zu seinem Herrn, bald um eine Gnade bittend, bald sich wegen eines begangenen Fehlers anklagend, bald seine Anliegen mitteilend und dafür Rat erbittend.” Ignatius schreibt: “Bei jedem Punkt, bei dem ich finde, was ich begehre, werde ich, ohne ängstliche Sorge weitergehen zu müssen [nämlich: zum nächsten vorbereiteten Punkt], ruhig verweilen, bis ich mir genuggetan habe.” Ziel einer jeden Schriftbetrachtung ist es - über den Text, welcher nur als Vehikel dienen soll - mit dem Herrn ins persönliche Gespräch zu kommen (“Inneres Gebet”). Im Optimalfall nimmt letzteres sogar den Großteil der Schriftbetrachtung ein. [Bei Ungeübten und “Anfängern” wird dies jedoch längere Zeit genau umgekehrt sein.] In Bezug auf obiges Zitat: wenn man also schon beim ersten Betrachtungspunkt in ein so langes Gespräch mit dem Herrn findet, dass die Betrachtungszeit voll ausgefüllt werden könnte, dann soll man hier keinesfalls vorher abbrechen, nur um auch noch die anderen Punkte zu schaffen ... 7. Die Betrachtung schließt ab mit dem Vater Unser. 8. Wo ist die Betrachtung zu halten? Ignatius schreibt: “Die Betrachtung selbst auf Knien beginnen oder hingestreckt auf die Erde oder liegend mit dem Blick nach oben, oder sitzend oder stehend, immer von der Absicht geleitet, das zu suchen, was ich begehre.” → Man suche sich also jene Haltung des Körpers, mit welcher man am besten betrachten kann.
Nach der Schriftbetrachtung: 9. "Die Reflexion” nach Abschluss der Betrachtungszeit. Ignatius schreibt: “Nach Abschluss der Übung werde ich, sei es sitzend, sei es auf-und- abgehend, nachsehen, wie es mir in der Betrachtung oder Besinnung ergangen ist; wenn schlecht, so werde ich nach der Ursache sehen, aus der es kam, und habe ich sie gefunden, bereuen, um mich künftig zu bessern; wenn gut, Gott, Unserem Herrn, Dank sagen und es ein andermal ebenso machen.” → hier geht es also nicht um “geistige Trockenheit” o. ä., sondern darum, nachzuforschen, ob die Betrachtung deswegen nicht besonders war, weil ich schlecht vorbereitet, unaufmerksam, lau, übermüdet, zerstreut, usw. gewesen bin. Q: Priesternetzwerk
„Beten ist Sprechen mit Gott.
Aber wovon? – Wovon?
Von Ihm und von dir,
von Freude und Kummer,
von Erfolgen und Mißerfolgen,
von hohen Zielen und alltäglichen Sorgen …
Von deinen Schwächen!
Danksagungen und Bitten.
Lieben und Sühnen.
Kurz, Ihn erkennen und dich erkennen:
Beisammen sein!“
hl. Josefmaria Escriva