Sprueche
DAS BUCH DER SPRÜCHE
Während das deutsche Wort in der Mehrzahl einen unangenehmen Beigeschmack hat und deshalb auch »Buch der Sprichwörter« übersetzt werden könnte, bedeutet der hebräische Ausdruck für »Spruch« auch noch »Gleichnis«, »Merkvers«, »kurzes Lied«. Bei allen Völkern, besonders aber bei den orientalischen, sind Sprichwörter sehr beliebt und bilden eine Richtschnur des Handelns. Daher wird das Spruchbuch nicht nur zu den poetischen Büchern, sondern auch zu den sog. »Lehrschriften« gerechnet. Ihr Zweck ist ein erzieherischer, weshalb die Anrede »Mein Sohn« gern als Einleitung benützt wird. Ziel der Erziehung ist die »Weisheit«; ihr Gegenteil ist »Torheit«. Diese Begriffe haben aber weniger einen verstandesmäßigen als vielmehr einen moralischen Inhalt. »Weisheit« ist richtige, gute Charakterhaltung in jeder Lebenslage. Besonders oft wird Beherrschung der Zunge, Gerechtigkeit, Mildtätigkeit, gute Kindererziehung, Mäßigkeit und Keuschheit empfohlen. Wenn auch, der Natur einer Spruchsammlung entsprechend, die meisten Lehrsätze sich auf das natürliche bürgerliche Leben des Alltags beziehen, gehört doch eine durchaus religiöse Grundhaltung zum Wesen der Weisheit, und wenigstens ein Siebtel aller Sprüche hat religiösen Inhalt. Als erster Grundsatz gilt, daß der »Anfang der Weisheit die Gottesfurcht« ist (1,7; 9,10). Um sich an einzelnen volkstümlichen Sprüchen nicht zu stoßen, muß man bedenken, daß Sprichwörter in ihrer Kürze oft einseitig sind und verallgemeinern. Um die Jugend und einfache Leute zu beeindrucken, darf das Sprichwort endlich den irdischen Nutzen der Tugend betonen. Der Gedanke an Lohn und Strafe spielt eine große Rolle; beides aber kommt vom gerechten Gott. Das Alter der Sprüche ist sehr verschieden und läßt sich im einzelnen nicht feststellen. Die Hauptmasse bilden zwei Sammlungen »salomonischer« Sprüche (10,1-22,17 und 25,1-29,27). Daß Salomo (ca. 972-932) sich mit Spruchweisheit viel beschäftigt hat, berichtet auch l Kon 5,12 f. Dabei mögen viele Sprüche nur mündlich weitergegeben und mag ihre Zahl dauernd vermehrt worden sein. Die zweite Hauptsammlung wurde von »Männern des Hiskia« (25,1) zusammengetragen (ca. 700 v. Chr.). Aus welcher Zeit die Anhänge an beide Sammlungen stammen, ist nicht feststellbar. Ihr Inhalt läßt eher an spätere Zeit denken. Die Hauptblüte des Weisheits-Schrifttums war die Epoche nach der Babylonischen Gefangenschaft und reicht herab bis in die letzte Zeit vor Christus (vgl. Sirach aus dem 2. Jahrhundert). Der späteste Teil ist die lange Einleitung Kap. 1-9, wo wir fast keine Einzelsprichwörter vor uns haben, sondern mehr zusammenhängende Mahnungen, die Weisheit anzunehmen. Es spricht der Weisheitslehrer oder sogar die personifizierte Weisheit selbst. Ebenso jung ist der Schluß, das Hohelied auf die tüchtige Hausfrau (31,10-31). Abgeschlossen wurde unser heutiges Gesamtbuch spätestens vor Sirach und vor der Übersetzung des AT ins Griechische (Septuaginta), so daß für die Zusammensetzung der Sammlung ein Zeitraum von ca. 500-200 v.Chr. offenbleibt, während die Sprichwörter selbst mehr oder weniger bis Salomo, ja noch weiter zurückreichen können. Unbestimmt ist auch, wann und wie der mehrmals deutlich wahrnehmbare Zusammenhang mit der allgemeinen altorientalischen Spruchliteratur, besonders der ägyptischen, zustande kam (vgl. 22,17). Bei Juden und Christen wurde das Spruchbuch stets zur Hl. Schrift gerechnet. Im NT wird es sehr oft wörtlich oder dem Sinne nach angeführt. Mancher Spruch wurde auch deutsches Sprichwort z. B. 16,18; 24,16; 25,21 f.; 26,27), und bis zum heutigen Tag hat das Buch seinen erzieherischen Lebenswert behalten. Selbst die »höhere Vollkommenheit« des Christentums darf die natürlichen sittlichen Grundtugenden des »Weisen« nicht vergessen.